Finanzdienstleistungen

„Unser Neuer ‚Artikel-9-Fonds‘ ist da!“: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen – oder nicht? EU-Kommission führt Konsultation zur Nachhaltigkeitsregulierung durch

Veröffentlicht am 4th Dez 2023

Die Kommission hat ein Konsultationspapier veröffentlicht, mit dem sie ihre Regulierung zu nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungen kritisch in den Blick nimmt und mögliche Änderungsvorschläge unterbreitet. Vorschläge zu Änderungen der aktuellen Regulierung erlauben einen Blick in die Zukunft von Sustainable Finance. Besonders interessant: Überlegungen zur Einführung einer Produktkategorisierung.

A.    Einführung

Die nachhaltige Finanzpolitik der EU ist darauf ausgerichtet, den Übergang zu einer nachhaltigen, klimaneutralen Wirtschaft durch Umlenkung der Kapitalströme zu nachhaltigen Investitionen zu unterstützen. Eines der Kernstücke ist die Verordnung (EU) 2019/2088 (Offenlegungsverordnung – „OffenlegungsVO“), die bereits seit März 2021 gilt und Finanzmarktteilnehmern, u.a. Kapitalverwaltungsgesellschaften, unternehmens- und produktbezogene Offenlegungspflichten auferlegt. Diese soll Kunden bzw. Anlegern Transparenz verschaffen über die Nachhaltigkeitsrisiken, die sich auf den Wert und die Rendite eines Finanzproduktes auswirken können, und über die negativen Auswirkungen der Investitionen, die mit dem Finanzprodukt getätigt werden. Damit einher geht das Ziel der Vermeidung von Greenwashing, also der Aufmachung eines Finanzproduktes als nachhaltig (green), welches bei genauerer Prüfung jedoch nicht nachhaltig ist (washing).

Am 14. September 2023 hat die Europäische Kommission eine Konsultation eingeleitet, um Rückmeldungen zur Implementierung der OffenlegungsVO einzuholen.

Mairead McGuinness, Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion, sagte dazu:

[…] Seit dem Vorschlag für die [OffenlegungsVO] im Jahr 2018 hat sich in der Welt der nachhaltigen Finanzen viel getan. Heute leiten wir eine ausführliche dreimonatige Konsultation für Interessengruppen ein. Wir wollen wissen, ob unsere Vorschriften ihre Bedürfnisse und Erwartungen erfüllen und ob sie zweckmäßig sind.

 

Ziel der Konsultation ist eine umfassende Einschätzung des Regelwerks, um potenzielle Unzulänglichkeiten aufzudecken. Schwerpunkt sollen Rechtssicherheit und Anwendbarkeit der OffenlegungsVO sein sowie deren Eignung als Instrument gegen Greenwashing

Interessenvertreter:innen sind dazu aufgerufen, sich mit konkreten Fragestellungen auseinanderzusetzen, die die Kommission zusammengestellt hat. Die Konsultation läuft noch bis zum 15. Dezember 2023.

Während der laufenden Konsultation, am 22. November 2023, hat die European Securities and Markets Authority (ESMA) drei Dokumente veröffentlicht, die umfassende Erläuterungen zentraler Begriffe im Bereich der Nachhaltigkeitsregulierung bieten. Sie sollen Interessenvertretern dabei helfen, sich im europäischen Rechtsrahmen zur Sustainable Finance besser zu orientieren.

B.    Die Konsultation im Einzelnen

Die Fragestellungen sind in folgende vier Abschnitte unterteilt:

  • aktuelle Anforderungen der OffenlegungsVO
  • Zusammenspiel der OffenlegungsVO mit anderen Sustainable Finance-Regelwerken
  • mögliche Änderungen der Offenlegungspflichten für Finanzmarktteilnehmer und
  • mögliche Einführung eines Kategorisierungssystems für Finanzprodukte

Die ersten beiden Abschnitte befassen sich demnach mit der aktuellen Lage, während die letzten beiden Abschnitte in die Zukunft schauen.

I.    Aktuelle Anforderungen der OffenlegungsVO

Im ersten Abschnitt steht die Bewertung der aktuellen Anforderungen der OffenlegungsVO im Mittelpunkt. Die EU-Kommission bittet um Mitteilung möglicher Probleme und Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit den in der OffenlegungsVO festgelegten Konzepten und den geforderten Offenlegungen ergeben könnten.

In diesem Kontext werden grundsätzliche Fragen gestellt - darunter die Relevanz des Ziels, den Übergang der EU zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft zu unterstützen. Konkrete Zielvorgaben der OffenlegungsVO werden genauer beleuchtet, einschließlich der Klarheit von Rechtsbegriffen und der Schwierigkeiten bei der Erfüllung von Offenlegungspflichten aufgrund unzureichender Daten. Damit reagiert die EU-Kommission auf die Kritik des Marktes (einschließlich der nationalen Aufsichtsbehörden), der Nachhaltigkeitsregulierung fehle es an Klarheit.

In Abschnitt 1.6 wird bereits ein Thema aufgeworfen, welchem die Konsultation einen eigenen Abschnitt widmet (dazu im Detail unten): Die OffenlegungsVO war ursprünglich – wie der Name impliziert – als Rahmenwerk für die Offenlegung nachhaltigkeitsbezogener Informationen im Zusammenhang mit Finanzmarktteilnehmern und Finanzprodukten gedacht. Hierfür sieht die OffenlegungsVO, vereinfacht gesagt, folgendes Abstufungssystem vor:

  • nicht nachhaltige Finanzprodukte – Offenlegungspflichten für alle Finanzmarktteilnehmer (Artikel 6 OffenlegungsVO)
  • Finanzprodukte, die ökologischer oder sozialer Merkmale bewerben – erweiterte Offenlegungspflichten für Finanzmarktteilnehmer, die solche Finanzprodukte erschaffen und vertreiben (Artikel 8 OffenlegungsVO) und
  • Finanzprodukte, die nachhaltige Investitionen tätigen – höchste Offenlegungspflichten für Finanzmarktteilnehmer, die solche Finanzprodukte erschaffen und vertreiben (Artikel 9 OffenlegungsVO).

In bestimmten Fällen werden die Offenlegungspflichten für Finanzprodukte der beiden letztgenannten Art durch die Verordnung (EU) 2020/852 („TaxonomieVO") ergänzt.

Aus diesem Abstufungssystem haben sich im Markt – anders als vom EU-Gesetzgeber beabsichtigt – unterschiedliche Kategorien von Finanzprodukten herausgebildet: Je nach Einstufung des Finanzproduktes spricht man von Art-8-Produkt bzw. Art, Art. 9-Produkt, und für Produkte, die ökologisch nachhaltige Ziele gemäß der TaxonomieVO verfolgen, von Art-8+-Produkt bzw. Art. 9+-Produkt. Zusätzlich hat sich der Begriff Art. 6-Produkt für Finanzprodukte etabliert, die keine besonderen nachhaltigen Ziele bewerben/verfolgen.

II.    Interaktion mit anderen Gesetzen zur nachhaltigen Finanzierung

Weiterhin legt die Konsultation den Fokus auf die Interaktionen der OffenlegungsVO mit anderen Teilen des EU-Rahmens für nachhaltige Offenlegungen. Ausdrücklich genannt werden hier

  • TaxonomieVO,
  • Richtlinie (EU) 2022/2464 über Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD),
  • Verordnung (EU) 2016/1011 (BenchmarkVO),
  • Richtlinie 2014/65/EU über Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive II – MiFID II),
  • Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb (Insurance Distribution Directive – IDD) und
  • Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (Packaged Retail and Insurance-based Investment products Regulation – PRIIP-VO).

Die gestellten Fragen zielen darauf ab, mögliche Auswirkungen der Vorschriften der OffenlegungsVO auf andere Rechtsakte in Bezug auf nachhaltige Finanzprodukte zu bewerten.

Die EU-Kommission erkennt in diesem Abschnitt an, dass sowohl OffenlegungsVO als auch TaxonomieVO Schlüsselkonzepte nachhaltiger Finanzmarktregulierung sind. Besonders wichtig sind die Definitionen von nachhaltigen Investitionen iSd OffenlegungsVO und ökologisch nachhaltigen Investitionen in iSd TaxonomieVO mit ihren Gemeinsamkeiten, dass diese Investitionen (1) einen Beitrag zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen und (2) die Vermeidung erheblicher Beeinträchtigung anderer Nachhaltigkeitsziele (do-no-significant-harm) erfordern. 

Trotz dieser Gemeinsamkeiten gibt es jedoch Unterschiede zwischen den Definitionen, die aufgrund ihrer Vielzahl zu praktischen Schwierigkeiten führen. So betrifft die TaxonomieVO, wenn es um den Beitrag zur Erreichung eines Nachhaltigkeitsziels gibt, nur das „E“ aus „ESG“, indem sie sechs konkrete, Umwelt-bezogene Ziele definiert; die OffenlegungsVO umfasst hingegen auch „S“ und „G“, ohne jedoch konkrete Ziele zu benennen. Auch nennt die TaxonomieVO (zusammen mit den zur ihr ergangenen delegierten Rechtsakten) Kriterien, wie sie sich den Beitrag zur Erreichung eines Umweltziels vorstellt; auch hier bleibt die OffenlegungsVO allgemeiner. Auch der do-no-significant-harm-Grundsatz ist in der TaxonomieVO konkreter ausgeführt als in der OffenlegungsVO. Unter anderem diese Unterschiede sollen im Rahmen des Konsultationsverfahrens näher erörtert werden.

III.    Mögliche Änderungen der Offenlegungspflichten für Finanzmarktteilnehmer

„Was draufsteht, muss auch drin bzw. dahinter stecken.“: Finanzprodukte, die Nachhaltigkeitsbezug für sich beanspruchen, müssen diesen mit entsprechenden Informationen belegen, um Greenwashing zu verhindern. Das führt mittelbar dazu, dass die Finanzmarktteilnehmer über entsprechende Infrastruktur verfügen müssen (insbesondere nachhaltigkeitsbezogene Compliance wie Risikomanagement, aber auch Nachhaltigkeitsreporting). 

Die EU-Kommission erkennt an, dass dies möglicherweise als eine zusätzliche Belastung für nachhaltige Finanzprodukte führt. Gleichzeitig soll Sustainable Finance Anreize für Finanzmarktteilnehmer schaffen, nachhaltige Finanzprodukte anzubieten und so die – vom der Regulierung zugrunde liegenden Aktionsplan beabsichtigte – Umleitung von Kapital in nachhaltige Anlagen zu fördern.

Derzeit sind die Offenlegungen gemäß Artikel 8 bzw. Artikel 9 OffenlegungsVO stets auf das jeweilige Maß an Nachhaltigkeitsbezug des Finanzproduktes abgestimmt. Das Konsultationspapier wirft die Frage auf, ob einheitliche Offenlegungspflichten für alle Produkte, unabhängig von ihren Nachhaltigkeitsaussagen, von Nutzen sein könnten. 

Die EU-Kommissionsieht hierin die Möglichkeit, Anlegern dabei zu helfen, die tatsächliche Nachhaltigkeitsleistung von Finanzprodukten zu verstehen. In diesem Zusammenhang klingt bereits die Möglichkeit an, im Rahmen eines Kategorisierungssystems für nachhaltige Finanzprodukte zusätzliche Offenlegungspflichten je nach Produktkategorie vorzusehen. 

IV.    Mögliche Einführung eines Kategorisierungssystems für Finanzprodukte
  1. Ideen der EU-Kommission

    Wie erwähnt, haben sich im Markt seit der Einführung der OffenlegungsVO eigenständige Kategorien und damit einhergehende Produktkennzeichnungen für (nicht-) nachhaltige Finanzprodukte entwickelt. Mit diesen Bezeichnungen wird nachhaltig (😉) Marketing betrieben: Aussagen auf Websites von Asset Managern lauten etwa „unser neuer Artikel-8-Fonds“ o.ä., Verkaufsprospekte tragen einen Stempel mit „Artikel 9“ / „dunkelgrün“, o.ä. 

    Die Verwendung dieser Begriffe und Floskeln zeigt, dass auf dem Markt eine Nachfrage nach Instrumenten besteht, mit denen die Nachhaltigkeitsleistung von Finanzprodukten einfach kommuniziert (und beworben) werden kann. Die EU-Kommission hegt jedoch Bedenken, dass Anleger:innen hierdurch nur noch auf das vermeintliche „Label“ eines Finanzproduktes vertrauen, ohne sich damit zu beschäftigen, ob das Produkt tatsächlich das hält, was es verspricht.

    Die Konsultation fragt deshalb explizit danach, welche Vorteile die Entwicklung eines Produktkategorisierungssystems haben könnte, basierend auf genauen Kriterien für Nachhaltigkeitsziele und -leistungen auf EU-Ebene. Im Konsultationspapier gibt es zwei verschiedene Vorschläge:

    Der erste Ansatz sieht Kategorien vor, die sich nicht mehr an den Vorgaben aus Artikel 8 bzw. Artikel 9 OffenlegungsVO orientieren. Es würde also nicht mehr danach unterschieden, ob Finanzprodukte entweder ökologische oder soziale Merkmale oder eine Kombination aus diesen Merkmalen bewerben (Artikel 8) oder nachhaltige Investitionen anstreben (Artikel 9). Vielmehr sollen sich Kategorien beispielsweise an der Anlagestrategie (Versprechen eines Beitrags zu konkreten Nachhaltigkeitszielen und dessen beabsichtigte Umsetzung) eines Produktes orientieren. Dieses in der Konsultation gewählte Beispiel lässt allerdings die Frage zu, wo genau nun ein wesentlicher Unterschied zu einem Finanzprodukt sein soll, welches derzeit nach Artikel 9 Offenlegungsverordnung transparenzpflichtig ist – denn um diese Transparenzpflichten erfüllen zu können, muss es genau die Angaben machen, die das vorgenannte Beispiel nennt.

    Alternativ soll die derzeitige Marktpraxis in geltendes Recht umgesetzt und Artikel 8 und Artikel 9 OffenlegungsVO in formelle Produktkategorien umgewandelt werden. Hierbei würden dann weitere Kriterien zu den bestehenden Konzepten der ökologischen und sozialen Merkmale, nachhaltigen Investitionen und dem do-no-significant-harm-Prinzip ergänzt, um die Kategorien zu schärfen.

  2. Parallele Überlegungen in der Branche

    Parallel gibt es in der Branche Überlegungen der Einführung einer ESG-Skala, durch die Anleger:innen schnell und einfach die Nachhaltigkeit bei Anlageprodukten einschätzen können sollen. Die Idee ist eine sechsstufige Skala, bei der „A“ Produkte kennzeichnet, die Nachhaltigkeitsaspekte besonders stark zu berücksichtigen, und „F“ für Produkte steht, die auf Nachhaltigkeitsaspekt schlichtweg gar nicht eingehen. Die Überlegung ähnelt der sechsstufigen Risikokategorisierung im Rahmen des Basisinformationsblattes.

    Für die verpflichtende Abfrage und Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen bei Anlageberatung Finanzportfolioverwaltung etwa wäre dies hilfreich. Hierbei müssen Kunden zu ihren Wünschen in Bezug auf Nachhaltigkeit befragt werden; ihnen dürfen nur Finanzinstrumente empfohlen werden, die ihren Nachhaltigkeitswünschen entsprechen. Die Nachhaltigkeitspräferenzen ergänzen die bisherigen Anlageziele „Anlagezweck“, „Anlagedauer“ und „Risikotoleranz“, die bei der Geeignetheitsprüfung berücksichtigt werden müssen.

C.    Fazit

Die Fragen, die die EU-Kommission in ihrer Konsultation aufwirft, verdeutlichen, dass die Sustainable Finance-Regulierung nach wie vor in den Kinderschuhen steckt – vielleicht auch, dass der EU-Gesetzgeber hier schneller war als der Markt… zu schnell. Gleichzeitig zeigt die Konsultation, dass die EU-Nachhaltigkeitsregulierung stetig weiterentwickelt wird, um den Anforderungen des Marktes und der Gesellschaft gerecht zu werden. Die Schaffung klarer Standards und die Vermeidung von Greenwashing bleiben dabei zentrale Ziele. Es bleibt spannend zu beobachten, wie diese Entwicklungen die Investitionen und den Übergang zu einer nachhaltigen, klimaneutralen Wirtschaft in Europa beeinflussen werden. Die Nachhaltigkeitsregulierung 2.0 hinterlässt hoffentlich weniger Fragen. Erläuterungsdokumente, wie sie die ESMA jüngst veröffentlicht hat, wären auch hier schön – gerne auch nicht erst knapp zwei Jahre nach Inkrafttreten…

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* This article is current as of the date of its publication and does not necessarily reflect the present state of the law or relevant regulation.

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