Kartellrecht

Quick Bites: Wettbewerb & Nachhaltigkeit – was haben Nachhaltigkeitsprojekte mit Kartellrecht zu tun?

Veröffentlicht am 12th Okt 2022

Das Kartellrecht sichert die Regeln eines unbeschränkten Wettbewerbs zwischen Unternehmen. Da das Thema Nachhaltigkeit immer stärker von der Politik und kritischen Verbrauchern an die Unternehmen herangetragen wird, wird Nachhaltigkeit zunehmend zu einem Wettbewerbsfaktor. Dadurch kann Nachhaltigkeit zum Gegenstand von Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Unternehmen werden, die eventuell den Wettbewerb beschränken und so in Konflikt mit dem Kartellrecht treten.

An welche Fallgruppen kann hierbei gedacht werden?
  • Horizontale Kooperationen: Das sind Kooperation unter Wettbewerbern, bei denen die Unternehmen versuchen, ein bestimmtes Nachhaltigkeitsziel gemeinsam, statt in Konkurrenz zueinander zu erreichen. Zu denken ist etwa an eine Forschungskooperation zur Senkung des Energieverbrauchs, zur Herstellung CO2-freier Produkte, zur Nutzung grünen Wasserstoffs, zur Schaffung eines gemeinsamen Labels für einen Nachhaltigkeitsstandard oder an die Einführung eines branchenweiten Rücknahme- und Recyclingsystems.
  • Vertikale Kooperationen: Das sind Nachhaltigkeitsprojekte zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette stehen, z. B. Hersteller – Großhändler – Einzelhändler. Beispielsweise kann an eine Vereinbarung über existenzsichernde Löhne in der Lieferkette oder eine Vereinbarung über Höchstpreise für Bioprodukte gedacht werden.
  • „Hardcore-Kartelle“: Das sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen mit besonders schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen (z. B. Preisabsprachen, Gebietsaufteilungen). Als Beispiel kann das „Abgaskartell“ genannt werden, bei dem mehrere Automobilhersteller vereinbarten, sich untereinander keine Konkurrenz um die saubersten Autos zu machen.
Wann findet das Kartellrecht auf Nachhaltigkeitsprojekte Anwendung?

Grundsätzlich findet das Kartellrecht Anwendung, es gibt keine generelle Bereichsausnahme für Nachhaltigkeitsprojekte als solche. Deshalb sollten Nachhaltigkeitsprojekte schon nicht den Wettbewerb beschränken. Liegt dennoch eine Wettbewerbsbeschränkung vor, kann eine Rechtfertigung im Einzelfall geprüft werden.

Daneben existiert seit kurzem mit Art. 210a GMO eine Branchenausnahme für den Agrarsektor, wonach das Kartellverbot keine Anwendung auf Vereinbarungen über höhere Umweltstandards oder Tierwohlstandards findet, wenn daran mindestens ein landwirtschaftlicher Erzeuger beteiligt ist und nur unerlässliche Wettbewerbsbeschränkungen vereinbart werden. Dabei kann es sich um horizontale oder vertikale Vereinbarungen handeln, die sogar den Preis betreffen können.

Welche rechtlichen Anforderungen stellt das Kartellverbot an Nachhaltigkeitsprojekte?

Nach dem Kartellverbot des Art. 101 AEUV, § 1 GWB sind Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen verboten, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Nachhaltigkeitsprojekte sollten also nach Möglichkeit schon so ausgestaltet werden, dass es dabei zu keiner Wettbewerbsbeschränkung kommt. Bei einer Abstimmung über sensible Wettbewerbsparameter ist besondere Vorsicht geboten, insbesondere bei Preisen, Mengen, Kosten oder der Vertriebsstrategie. 

Bestimmte Typen von Nachhaltigkeitsprojekte sind bei richtiger Ausgestaltung in der Regel kartellrechtlich weniger problematisch; hierzu zählt:

  • Umsetzung gesetzlicher Vorschriften: Sollen mit der Kooperation allein gesetzliche Vorgaben umgesetzt werden, liegt regelmäßig keine Wettbewerbsbeschränkung vor. Dies gilt jedoch nur solange kein „überschießende Erfüllung“ vereinbart wird.
  • Normen und Standards: Die Schaffung von gemeinsamen Labels und anderen Normen und Standards dürfte regelmäßig keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, sofern:
    • der Entstehungsprozess transparent ist und allen Interessierten offen steht.
    • die Teilnahme am Prozess und die Verwendung des Labels freiwillig ist und ein effektiver, nicht-diskriminierender Zugang zum Label gewährleistet wird.
    • ein individuell höherer Standard verwendet werden darf.
    • kein nicht-notwendiger Informationsaustausch über Wettbewerbsdaten erfolgt.
    • das Label keinen erheblichen Preisanstieg auslöst und die Wahlmöglichkeiten zwischen den angebotenen Produkten nicht einschränkt. 
    • ein Kontrollsystem überprüft, ob die Kriterien des Labels eingehalten werden.
Gibt es Möglichkeiten einer Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen?

Für die Fallgruppe der Hardcore-Kartelle dürfte im Regelfall keine Rechtfertigung möglich sein. 

Bei horizontalen und vertikalen Kooperationen existieren verschiedenen Ansätze für eine kartellrechtliche Rechtfertigung. Möglich ist, dass die Kooperation in Genuss einer sogenannten Gruppenfreistellungsverordnung („GVO“) kommt, insbesondere der Vertikal-GVO oder der Forschungs- und Entwicklungs-GVO.

Ist dies nicht der Fall, besteht ggf. die Möglichkeit einer sogenannten Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, § 2 GWB. Für horizontale Nachhaltigkeitsprojekte hat die Europäische Kommission vor kurzem einen Leitlinien-Entwurf vorgelegt, indem sie die Grundsätze für eine Einzelfreistellung skizziert.

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen horizontale und vertikale Nachhaltigkeitsprojekt erfüllen, um im Einzelfall freigestellt und gerechtfertigt zu sein?

Das Nachhaltigkeitsprojekt muss zunächst Effizienzvorteile erzeugen:

  • Unproblematisch erfasst sind „klassische Vorteile“, etwa eine Kosteneinsparung oder die Entwicklung eines neuen Produktes. 
  • Daneben können zwar grundsätzlich auch Gemeinwohlziele wie Umweltschutz, Tierschutz oder verbesserte Lebensbedingungen Effizienzen darstellen, vor allem dann, wenn diese Ziele selbst im europäischen Primärrecht verankert sind. 
  • Die Effizienzen können auch in Qualitätsmerkmalen resultieren. Danach könnte z. B. eine umweltschonende Herstellung ein Merkmal sein, das einem gewissen Produkt anhaftet, und für das die Verbraucher zu zahlen bereit wären. 
  • Jedoch muss der angeführte Effizienzvorteil substantiell und grundsätzlich quantitativ bestimmbar, konkret und überprüfbar sein. Dies könnte sich in der Praxis als schwierig erweisen, zumal die Beweislast bei der Einzelfreistellung die Unternehmen tragen.

Sodann ist eine angemessene Verbraucherbeteiligung an den Effizienzvorteilen notwendig:

  • Erforderlich ist ein positiver Nettoeffekt. Die Effizienzvorteile müssen also die Nachteile der Wettbewerbsbeschränkung überwiegen. 
  • Vorteile aus der direkten, individuellen Benutzung eines Gegenstandes oder einer Dienstleistung durch den Verbraucher werden regelmäßig anerkannt.
  • Zukünftig könnten aber auch indirekt-individuelle Vorteile, die nicht aus der Benutzung direkt resultieren, anerkannt werden. Voraussetzung wäre, dass die Verbraucher bereit sind hierfür zu bezahlen, z. B. für ein natürliches Waschmittel, weil dieses umweltschonend ist, nicht aber, weil es bessere Wascheigenschaften hat.
  • Selbst solche Vorteile sollen relevant sein können, die in einem anderen Markt als dem der Wettbewerbsbeschränkung entstehen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Verbraucher, der die Nachteile der Beschränkung trägt zugleich zu der Gruppe der Allgemeinheit gehört, die die Vorteile genießt, z. B. ein Autofahrer, der durch einen höheren Preis für grünen Kraftstoff zugleich saubere Luft atmet.
  • Nicht ausreichend soll es hingegen sein, wenn die Vorteile nur einer Allgemeinheit zugute kommen, ohne dass der Verbraucher Teil dieser Allgemeinheit ist, z. B. bessere Arbeitsbedingungen für Arbeitende in Schwellenländern.

Darüber hinaus muss die Wettbewerbsbeschränkung zur Erreichung der Effizienzvorteile unerlässlich sein und darf zu keiner Ausschaltung des Wettbewerbs führen.

Gibt es Besonderheiten bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen? 

Soll ein Gemeinschaftsunternehmen zur Umsetzung eines Nachhaltigkeitsprojektes gegründet werden, muss neben Kartellverbot auch eine fusionskontrollrechtliche Anmeldepflicht auf europäischer oder nationaler Ebene geprüft werden. In materieller Hinsicht erlaubt die Fusionskontrolle dabei grundsätzlich keine Berücksichtigung außerwettbewerblicher Aspekte, wie etwa Umweltschutz. Den Behörden steht kein Ermessensspielraum zu.

Was sollte ich als Unternehmen konkret tun?
  • Nachhaltigkeitsprojekte dürfen nicht zur Verschleierung von klassischen Hardcore-Kartellen genutzt werden – die internen Compliance-Strukturen sollten darauf entsprechend reagieren.
  • Viele horizontale und vertikale Nachhaltigkeitsprojekte dürften im Ergebnis kartellrechtskonform ausgestaltet werden können. Entscheidend ist das Thema Kartellrecht möglichst frühzeitig mitzudenken.
  • Im Agrarsektor sollten spezielle Bereichsausnahmen geprüft werden.
  • Bei Unsicherheiten ist eine sorgfältige rechtliche Analyse des Kartellverbots und der Rechtfertigungsmöglichkeiten für eine Freistellung angezeigt. 
  • Hierfür tragen die Unternehmen die Beweislast, was zu Rechtsunsicherheit führen kann. Ein Ausweg könnte durch eine informelle oder formelle Konsultation der Wettbewerbsbehörden erreicht werden.

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* This article is current as of the date of its publication and does not necessarily reflect the present state of the law or relevant regulation.

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