Zwischen Beratung und Behandlung: Telemedizin wird in Deutschland noch durch rechtliche Hürden gebremst

Veröffentlicht am 17th Mar 2017

Per Videoübertragung zu Erstdiagnose und passender Therapie – in den USA, Großbritannien oder der Schweiz wird Patienten längst die lästige Wartezeit in den überfüllten Wartezimmern der Arztpraxen erspart. Nach einer Studie von Roland Berger wird der Markt für Telemedizin weltweit von 14 Milliarden Dollar im Jahr 2016 auf 26 Milliarden Dollar im Jahr 2020 wachsen. Eine jüngst im Auftrag der Techniker Krankenkasse durchgeführte Umfrage ergab, dass jeder zweiter Patient bereits online mit seiner Arztpraxis kommuniziert oder sich dies vorstellen kann. Deutschland hinkt aber weiter hinterher – vor allem wegen rechtlicher Hürden. Doch mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen sind Unternehmen auch hierzulande im Bereich der Telemedizin aktiv.

Fernbehandlungsverbot

In Deutschland gilt nach § 8 Absatz 4 MBOÄ (Musterberufsordnung der Ärzte) ein Fernbehandlungsverbot. Danach dürfen Ärzte Patienten nicht über Telemedizin-Anwendungen, z.B. per Videosprechstunde, behandeln, wenn sie diese nicht wenigstens einmal zuvor persönlich gesehen und untersucht haben. Zudem ist bereits die Werbung mit einer Fernbehandlung gemäß § 9 HWG (Heilmittelwerbegesetz) verboten. Für eine Erstbehandlung, Krankschreibungen und Rezepte ist der Weg zum Arzt also unumgänglich.

Zulässig ist eine telemedizinische Leistung eines Arztes lediglich als Folgebehandlung nach einer ersten, vorher stattgefundenen persönlichen Untersuchung bei demselben Arzt. In diesem Sinne nimmt das am 1. Januar 2016 in Kraft getretene E-Health-Gesetz zwar die Videosprechstunde ab Juli 2017 in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen auf – allerdings auch nur, wenn diese ergänzend zu einer bereits begonnenen Behandlung und nach einem vorher erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt eingesetzt wird.

Nicht unter das Fernbehandlungsverbot fällt die Fernberatung durch Ärzte. Unter Beratung in diesem Sinne ist z.B. die Empfehlung eines bestimmten Mittels für eine abstrakt benannte Krankheit zu verstehen. Sobald in Bezug auf einen individuellen Krankheitsfall eine individuelle Diagnose erstellt oder ein Ratschlag gegeben wird, handelt es sich um eine Behandlung. In der Praxis ist die Differenzierung durchaus schwierig und die Grenze zwischen Beratung und Behandlung schnell überschritten.

Pilotprojekt Baden-Würtemberg

Allerdings dient die MBOÄ nur als Orientierungshilfe zur Gewährleistung eines weitgehend einheitlichen Berufsrechts der Ärzte in Deutschland. Die rechtsverbindliche Festlegung der Berufsordnung obliegt den einzelnen Bundesländern. So hat hat die Landesärztekammer Baden-Württemberg im August 2016 in einer wegweisenden, bundesweit einmaligen Entscheidung das Fernbehandlungsverbot gelockert: Im Rahmen von Modellprojekten dürfen Ärzte dort nun auch Patienten per Videosprechstunde behandeln, die sie zuvor persönlich noch nicht gesehen haben.

Existierende Geschäftsmodelle zwischen Beratung und Behandlung

Trotz der im internationalen Vergleich sehr restriktiven rechtlichen Rahmenbedingungen sind auch hierzulande Unternehmen im hochregulierten Bereich der Telemedizin aktiv. Das Münchener Start-up TeleClinic bietet Patienten beispielsweise eine ärztliche Beratung via Videogespräch oder Telefonat an.

Die Entscheidung, wann die Grenzen einer vom Fernbehandlungsverbot nicht umfassten bloßen ärztlichen Beratung überschritten sind und stattdessen eine persönliche Behandlung notwendig ist, überlässt die TeleClinic ihren praktizierenden Ärzten. Patienten zahlen pro Beratung einen Festbetrag, für Versicherte einzelner privater und gesetzlicher Krankenkassen ist die Beratung bereits kostenlos.

Auch der Konkurrent Patientus bietet  die ärztliche Beratung von Patienten über Telefon oder Videogespräch an. Im Gegensatz zu TeleClinic ist die telemedizinische Beratung für die Patienten hier grundsätzlich kostenlos, gegebenenfalls fällt ein Selbstkostenbeitrag an. Ärzte benötigen für die Nutzung dagegen einen kostenpflichtigen Account. Patientus wurde gerade von Jameda gekauft, Deutschlands größtem Portal für Arztempfehlungen und Marktführer für Online-Arzttermine.

Seit einiger Zeit drängen aber auch internationale Telemedizin-Anbieter auf den deutschen Markt. Das britische Unternehmen DrEd wirbt explizit damit, dass seine Ärzte auch Rezepte für eine Vielzahl von Erkrankungen ausstellen und damit dem Patienten den Weg zum Arzt ersparen.

Da jedem Versicherten in der EU eine freie Arztwahl zusteht, können sich auch deutsche Patienten über Dr. Ed an einen britischen Arzt wenden und sich von diesem Rezepte ausstellen lassen. Auch Rezepte aus anderen EU Staaten müssen nach Art. 11 der Richtlinie 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in jedem anderen EU-Land anerkannt werden.

Initiative gegen Rezepte aus Online-Praxen

Dieses Geschäftsmodell ist Kritikern schon lange ein Dorn im Auge und war unter anderem Anstoß für die am 24. Dezember 2016 in Kraft getretenen 4. Novelle des Arzneimittelgesetzes. Danach dürfen Apotheken in Deutschland grundsätzlich keine verschreibungspflichtigen Medikamente ausgeben, wenn offenkundig ist, dass es vorausgehend keinen persönlichen Kontakt zwischen dem verschreibenden Arzt und dem jeweiligen Patienten gegeben hat. Dadurch soll Rezepten aus Online-Praxen der Riegel vorgeschoben werden.

Umgangen werden kann dieses Verbot jedoch durch die Einbeziehung von europäischen Versandapotheken. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Oktober 2016 müssen sich ausländische Apotheken beim Versand verschreibungspflichtiger Medikamente nach Deutschland zum einen nicht an die hiesige Arzneimittelpreisverordnung halten. Zum anderen gelten die vorgenannten Beschränkungen hinsichtlich des Rezepts nicht für ausländische Versandhandelsapotheken.

Ob die Online-Praxen durch eine Kooperation mit ausländischen Versandapotheken das Verbot von Online-Rezepten aus dem Entwurf zur 4. AMG-Novelle allerdings langfristig umgehen können, bleibt zweifelhaft. So hat das Bundesgesundheitsministerium noch im Dezember 2016 einen Referentenentwurf des „Gesetzes zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“ vorgelegt. Damit will es die durch das angesprochene EuGH-Urteil hergestellte Ungleichbehandlung zwischen EU-Versand-apotheken und solchen aus Deutschland beseitigen. Versuche, den Apothekenversandhandel insgesamt zu verbieten, gab es in der Vergangenheit schon öfter – bislang sind sie gescheitert.

Liberalisierung durch Marktdruck?

Aufgrund des großen Potentials der Telemedizin ist damit zu rechnen, dass neue Unternehmen mit vielfältigen Angeboten und Geschäftsmodellen auf den Markt der Telemedizin drängen werden. Ein solcher Marktzuwachs verstärkt aber wiederum den Druck auf den Gesetzgeber, die rechtliche Regelung der Telemedizin anzupassen und weiter zu liberalisieren.

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