Update Vorsorgevollmacht - Beschluss des BGH vom 6. Juli 2016 XII ZB 61/16

Veröffentlicht am 11th Aug 2016

Der am 9. August 2016 veröffentlichte Beschluss des BGH zum Inhalt einer Patientenverfügung gibt Anlass, die in der Presse und den Medien veröffentlichten Leitsätze auf der Grundlage des beurteilten Sachverhalt näher zu beleuchten und in der Folge bestehende Patientenverfügungen noch einmal inhaltlich zu prüfen. Was war geschehen?

Die im Jahre 1941 geborene Betroffene erlitt Ende November 2011 einen Hirnschlag und wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Dort wurde ihr eine Magensonde (PEG-Sonde) zur Ernährung gelegt. Im Januar 2012 wurde sie in ein Pflegeheim aufgenommen. Die zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Fähigkeit zur verbalen Kommunikation verlor die Betroffene im Frühjahr 2013 in Folge einer Phase epileptischer Anfälle. Die Betroffene hatte bereits im Februar 2003 zunächst eine privatschriftliche Patientenverfügung verfasst und darin einer ihrer drei Töchter (im folgenden „die Bevollmächtigte“) für den Fall, dass sie selbst außerstande sein sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern, die Vollmacht erteilt an ihrer Stelle mit der behandelnden Ärztin (…) alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen, ihren Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einzubringen und in ihrem Namen Einwendungen vorzutragen, die die Ärztin berücksichtigen solle. In der Patientenverfügung war u.a. festgelegt, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollen, wenn aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt. Diese Patientenverfügung und Vollmacht hatte die Betroffene noch am 18. November 2011 wortlautidentisch erneuert. Darüber hinaus hatten die Betroffene und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann mit notarieller Urkunde vom 26. Februar 2003 sich gegenseitig Generalvollmacht erteilt und in der Urkunde an erster Stelle die Bevollmächtigte, in zweiter Stelle die zweite Tochter als Ersatzbevollmächtigte eingesetzt. In dieser Vollmacht hieß es u.a. :“Die Vollmacht enthält die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu entscheiden. Wir wurden darüber belehrt, dass solche Entscheidungen unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen. Im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung legen wir keinen Wert auf lebensverlängernde Maßnahmen, wenn feststeht, dass eine Besserung des Zustands nicht erwartet werden kann. Die Vollmachtgeber wünschen eine angemessene und insbesondere schmerzlindernde Behandlung, nicht jedoch die künstliche Lebensverlängerung durch Gerätschaften. Die Schmerzlinderung hat nach Vorstellung der Vollmachtgeber Vorrang vor denkbarer Lebensverkürzung, welche bei der Gabe wirksamer Medikamente nicht ausgeschlossen werden kann.“

Die Bevollmächtigte und die behandelnde Hausärztin sind übereinstimmend der Ansicht, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung nicht dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen der Betroffenen entspricht. Die beiden anderen Töchter sind der gegenteiligen Meinung.

Der BGH hat die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, weil dieses klären müsse, ob behauptete Äußerungen der Betroffenen gefallen sind und sich aus diesen Behandlungswünsche oder – falls das nicht der Fall sein sollte – jedenfalls Hinweise auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen entnehmen lassen. Der BGH weist in den Entscheidungsgründen darauf hin, dass die Betroffene der künstlichen Ernährung mittels Magensonde zu der Zeit, als sie noch kommunikationsfähig war, nicht widersprochen habe. Hinzukomme, dass die Betroffene nach dem Text der zuletzt im November 2001 und damit kurz vor dem Hirnschlag erteilten privatschriftlichen Vollmacht ihren in der privatschriftlichen Patientenverfügung geäußerten Willen lediglich in den Entscheidungsprozess eingebracht und berücksichtigt wissen wollte, woraus eine nur eingeschränkte Bindung und ein weiter Ermessensspielraum der Bevollmächtigten bei der im Dialog mit der behandelnden Ärztin zu findenden Entscheidung folge. Zudem lasse die „Patientenverfügung“ mit der Anknüpfung an die Erhaltung eines erträglichen Lebens“ und an die „angemessenen Möglichkeiten“ sowie mit dem unscharfen Begriff des „schweren“ Dauerschadens einen weiten Interpretationsspielraum. Dass die Bevollmächtigte diesen nur in dem Sinne hätte ausfüllen dürfe, dass die künstliche Ernährung abzubrechen sei, sei nicht ersichtlich. Zusammengefasst hat der BGH mithin vorliegend weder in der Patientenverfügung noch in der notariellen Vorsorgevollmacht hinreichende Anhaltspunkte dafür finden können, dass der mutmaßliche Wille der Betroffenen in der konkreten Situation auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtet war. Insbesondere enthalte die schriftliche Äußerung „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen.

Für die Praxis bedeutet der Beschluss des BGH, dass bestehende Patientenverfügungen darauf überprüft werden sollten, ob diese hinreichend konkrete Behandlungsentscheidungen enthalten. Darüber hinaus ist zu beachten, dass eine Patientenverfügung allein nicht ausreicht, um den darin niedergelegten Willen auch umzusetzen. Vielmehr bedarf es stets auch der Erteilung einer Vollmacht an eine Person des Vertrauens, die den in der Patientenverfügung niedergelegten Willen dann auch umsetzt.

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