Widerruf und Rückgabepflicht von Arbeitszeugnissen

Veröffentlicht am 13th Feb 2018

Der Widerruf eines Arbeitszeugnisses ist über den bislang allgemein anerkannten Fall einer nachträglichen Tatsachenänderung hinaus auch dann möglich, wenn der Arbeitnehmer das Zeugnis auf unredliche Art und Weise unter Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben erlangt hat, Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.10.2017 – Az. 1 Sa 228/17.

Der Sachverhalt

Der beklagte Arbeitnehmer war befristet in der Zeit von Juli 2014 bis Ende Oktober 2016 als Hochbauingenieur in der Verwaltung der klagenden Gemeinde beschäftigt. In einem internen Vermerk von Mitte 2015 sprach sich die zuständige Bereichsleiterin gegen seine Weiterbeschäftigung über den Befristungsablauf hinaus aus. Mitte Juni 2016 bat der Beklagte den Leiter des Fachdienstes „Allgemeine Verwaltung“ auf dem üblichen Dienstweg um die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses. Nachdem sich – auf Rückfrage bei der Vorgesetzten des Beklagten erneut bestätigt – an der Arbeitsweise des Beklagten nichts geändert hatte, stellte der Leiter dem Beklagten daraufhin im Juli 2016 ein von der Bürgermeisterin unterzeichnetes Arbeitszeugnis aus, das eine durchschnittliche Bewertung der erbrachten Arbeitsleistung beinhaltete.

Ende Oktober 2016 wandte sich der Beklagte mit einem neuen, von ihm selbst entworfenen Zwischenzeugnis an den stellvertretenden Bürgermeister der Klägerin (die Bürgermeisterin war urlaubsbedingt ortsabwesend). Nach Rücksprache mit dem unmittelbaren Vorgesetzten des Beklagten, der die Richtigkeit dieses nunmehr sehr guten Zeugnisses bestätigte, unterzeichnete der stellvertretende Bürgermeister das Zeugnis und händigte es dem Beklagten unversiegelt aus. Bei einer wenige Tage später stattgefundenen Besprechung erklärte der Beklagte auf die Frage, warum er das Zeugnis nicht auf dem normalen Dienstwege (über den Fachdienst „Allgemeine Verwaltung“) angefordert habe, es habe sich wegen aktuell beabsichtigter Bewerbungen um eine dringende Angelegenheit gehandelt.

In einem Schreiben von Anfang November 2016 widerrief die Klägerin das zweite Zeugnis und begehrt mit ihrer Klage Rückgabe desselben. Das Arbeitsgericht Lübeck hat die Klage abgewiesen. Die gegen die Entscheidung eingelegte Berufung hatte hingegen Erfolg.

Die Entscheidung

Mit Urteil vom 17. Oktober .2017 hat das LAG Schleswig-Holstein der Arbeitgeberin den geltend gemachten Anspruch auf Rückgabe des zweiten Zeugnisses von Oktober 2016 zugestanden.  

Nach Ansicht der Richter habe der Arbeitgeber nach einem wirksamen Widerruf des Zeugnisses ein schutzwürdiges Interesse an der Rückgabe, weil er fürchten müsse, dass der Arbeitnehmer dieses für Bewerbungen bei Dritten benutzen und den ehemaligen Arbeitgeber dadurch Regressansprüchen aussetzen könne. Die Pflicht zur Rückgabe des Zeugnisses folge aus der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers, die in § 241 Abs. 2 BGB verankert ist.

Das LAG Schleswig-Holstein stellte zunächst fest, dass dem Arbeitgeber der Widerruf eines erteilten Zeugnisses immer dann möglich ist, wenn ihm nachträglich Tatsachen von ausschlaggebender Bedeutung bekannt würden, die eine andere Beurteilung rechtfertigten (§ 242 BGB). Die Schwierigkeiten des konkreten Falls lagen darin, dass diese Voraussetzungen für einen Widerruf gerade nicht vorlagen: Die Klägerin müsse sich das Wissen ihrer Organe und der für sie handelnden Vertreter, also der stellvertretenden Bürgermeisterin und dem Vorgesetzen des Beklagten, gemäß § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Aus diesem Grund seien der Klägerin alle Umstände bekannt gewesen, die eine aus ihrer Sicht schlechtere Beurteilung des Beklagten hätten rechtfertigen können. Damit scheide ein Widerruf nach den oben genannten Grundsätzen aus.

Ein Widerruf sei nach Ansicht des LAG Schleswig-Holstein aber auch dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitszeugnis auf unredliche, gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßende Art und Weise erlangt habe. Nach Auffassung der Kammer habe der Beklagte diese Grundsätze durch unredliches Handeln verletzt. Dies ergebe sich aus der zielgerichteten Umgehung des Dienstweges, der dem Beklagten durchaus bekannt gewesen sei und die nicht durch eine besondere Eilbedürftigkeit der Situation gerechtfertigt gewesen sei. Schließlich habe der Beklagten das bereits im Juli 2016 erteilte Zwischenzeugnis vorgelegen.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein erweitert die Anwendungsfälle, in denen der Arbeitgeber zum Widerruf eines erteilten Arbeitszeugnisses berechtigt ist. Über die bislang anerkannte Konstellation, dass dem Arbeitgeber nachträglich bedeutsame Tatsachen für eine veränderte Beurteilung bekannt werden, berechtigt nach Ansicht der Kammer nun auch das unredliche Handeln des Arbeitnehmers, hier durch die Erlangung des Zeugnisses, zum Widerruf.

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