„Digitaler Nachlass“: rechtliche und praktische Probleme und Gestaltungsempfehlungen

Veröffentlicht am 23rd Nov 2016

Verbreitung, Fehlen besonderer Regelungen

Elektronische Medien und das Internet prägen den Alltag einer breiten Mehrheit der Bevölkerung. Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes waren 2015 in 86 % der privaten Haushalte in Deutschland ein PC und in 85 % der privaten Haushalte ein Internetzugang vorhanden (Abruf vom 21.9.2016). 74 % der privaten Haushalte verfügten Anfang 2015 über mindestens einen mobilen Computer, zum Beispiel einen Laptop, ein Notebook oder Tablet (Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes, Abruf vom 21.9.2016), 93,5 % über mindestens ein Mobiltelefon (Abruf vom 21.9.2016). Die Menschen unterhalten E-Mail-Accounts, häufig bei mehreren Anbietern, pflegen Kontakte mit Hilfe von kostenfreien und kostenpflichtigen sozialen Netzwerken, nutzen Messenger-Dienste, telefonieren mobil, betreiben eigene Websites und Blogs, erledigen Bankgeschäfte online, kaufen ein in Online-Shops, zahlen über Zahlungsdienstleister, speichern vielfältige Daten auf dem eigenem Rechner und lagern Daten bei Cloud-Anbietern aus. Die Nutzung derartiger Geräte und Angebote ist seit Jahren ganz selbstverständlich, keineswegs nur für jüngere Menschen. So überrascht es nicht, dass viele Nachlässe längst auch Aktiva und Passiva aus der digitalen Welt umfassen.

Für dieses Phänomen etabliert sich der Begriff „digitaler Nachlass“, der allerdings kein Rechtsbegriff, sondern lediglich beschreibend ist. Die Bezeichnung soll illustrieren, dass ein Nachlass unter anderem elektronische Daten des Erblassers und eine Gesamtheit unterschiedlicher Rechtsverhältnisse des Erblassers einschließen kann, die informationstechnische Systeme berühren (vgl. die Definitionen von Deusch ZEV 2014, S. 2 f., und Gloser MittBayNot 2016, S. 12 f.). Das Erbrecht sieht keine besonderen Bestimmungen für den „digitalen Nachlass“ vor. Auch in diesem Bereich steht also der Rechtsanwender vor der Aufgabe, ältere gesetzliche Regelungen von allgemeiner Tragweite auf neuere Entwicklungen zu beziehen.

Praktische Schwierigkeiten des Erben

Häufig standen die Erben dem Erblasser nahe und sind über dessen Verhältnisse gut informiert. Durchaus nicht selten haben aber die Erben kein vollständiges Bild über den gesamten „digitalen Nachlass“, weil ihnen etwa einzelne Mitgliedschaften, Domains und Nutzer-Accounts des Erblassers unbekannt sind. Mitunter ergeben sich für die Erben Anhaltspunkte, denen sie nachgehen können, um weitere Nutzerkonten usw. zu ermitteln. Dies ist ausgesprochen mühsam, und nicht immer gelingt eine vollständige Erfassung. Vielfach verbleiben zumindest teilweise Unklarheiten über Vertragsverhältnisse, Nutzungsrechte, Immaterialgüterrechte und den Datenbestand des Erblassers. Diese praktischen Probleme sind typischerweise besonders stark ausgeprägt, wenn die Erben nicht in engem Kontakt mit dem Erblasser standen. Ein solches Informationsdefizit der Erben ist keine neue Erscheinung: In früherer Zeit blieb etwa das Zeitschriftenabonnement des Erblassers bis zum Eingang der nächsten Jahresrechnung unbekannt, heute fehlen den Erben Informationen über Vertragsverhältnisse und Rechtspositionen des Erblassers, die sich auf den „digitalen Nachlass“ beziehen.

Selbst wenn alle Rechtsverhältnisse ermittelt sind, haben die Erben regelmäßig keine Kenntnis von Zugangsdaten, zum Beispiel Passwörtern, die der Erblasser für soziale Netzwerke, seine E-Mail-Accounts, Online-Shops oder das Online-Banking angelegt hat und die aus Sicherheitsgründen üblicherweise recht häufig geändert werden. In diesen Fällen sind die Erben auf Hilfe des Vertragspartners des Erblassers angewiesen, der die Zugangsdaten offenlegen oder zurücksetzen oder erfasste Vorgänge mitteilen könnte. Erfahrungsgemäß scheitert ein Zugriff der Erben häufig an standardisierten Praktiken der Vertragspartner des Erblassers, die eine Herausgabe von Daten oder eine Rücksetzung mangels eines – nach ihren eigenen Maßstäben – hinreichenden Nachweises der Erbenstellung ablehnen, eigene formale Anforderungen an den Nachweis der materiellen Berechtigung stellen oder auch Inhalte nach geraumer Zeit der Inaktivität löschen (vgl. zu den Praktiken verschiedener großer Anbieter Gloser MittBayNot 2016, S. 12, 18 f.; Steiner/Holzer ZEV 2015, S. 262, 264; Lange/Holtwiesche ZErb 2016, S. 125, 127; Herzog NJW 2013, S. 3745, 3746; Deusch ZEV 2014, S. 2, 3; Martini JZ 2012, S. 1145, 1146; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Berlin, Juni 2013, S. 25 ff.).

Derartige Erschwernisse sind für die Erben ausgesprochen misslich. Eine Frist von sechs Wochen billigt ihnen das Gesetz für eine Ausschlagung der Erbschaft zu (§ 1944 Abs. 1 BGB). Die Erben werden anstreben, sich rasch, jedenfalls innerhalb dieser Ausschlagungsfrist, Klarheit über den Nachlass zu verschaffen, insbesondere über Verbindlichkeiten und eine etwaige Überschuldung, um sachgerecht über Annahme oder Ausschlagung entscheiden zu können. Ist eine Ausschlagung nicht mehr möglich, kann die Haftung der Erben nur noch durch eine Nachlassverwaltung oder ein Nachlassinsolvenzverfahren beschränkt werden (§ 1975 BGB). Dementsprechend haben die Erben ein Interesse, sich zügig etwa von lediglich elektronisch dokumentierten Vertragsverhältnissen des Erblassers, von offenen Verbindlichkeiten aus Online-Geschäften oder von Verträgen, die im Erbfall übergehen und/oder sich bei ausbleibender Kündigung automatisch verlängern, Kenntnis zu verschaffen. Zudem gehen nicht-vertragliche Verbindlichkeiten und gesetzliche Verantwortlichkeiten des Erblassers auf die Erben über, etwa die Haftung für rechtswidrige Inhalte auf Websites des Erblassers und die Impressumpflicht nach § 5 TMG.

Vererblichkeit und Gesamtrechtsnachfolge

Erbrechtliche Ausgangssituation

Das Erbrecht ordnet eine umfassende Gesamtrechtsnachfolge an; mit dem Erbfall geht das Vermögen des Erblassers als Ganzes mit allen Aktiva und Passiva auf den Erben über (§ 1922 Abs. 1 BGB). Der Erbe tritt in die Rechtsstellung des Erblassers ein, zum Beispiel hinsichtlich des Eigentums an Sachen, der Inhaberschaft an Rechten und als Vertragspartei von Vertragsverhältnissen (Münchener Kommentar/Leipold, § 1922 BGB Rn. 20). Dieses Prinzip beansprucht auch Geltung für Rechtspositionen des „digitalen Nachlasses“, wie zum Beispiel das Eigentum an IT-Hardware und Datenträgern, Verträge über Telekommunikationsleistungen oder Internetdienstleistungen wie E-Mail oder Cloud, Verträge betreffend die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken oder die Einräumung von Nutzungsrechten. Vererblich sind auch Urheberrechte an Texten und Bildern des Erblassers, zum Beispiel Videos, Nutzungsrechte des Erblassers an Werken Dritter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, § 72 UrhG, § 31 UrhG, jeweils i.V.m. § 28 Abs. 1 UrhG) und Markenrechte (vgl. §§ 3 ff., 27 MarkenG), ebenso Rechte an Domains.

Einige Ausnahmen von der Universalsukzession sind gesetzlich geregelt oder anderweitig rechtlich anerkannt. So sind etwa Beteiligungen persönlich haftender Gesellschafter an Personengesellschaften, sofern keine besondere gesellschaftsvertragliche Regelung besteht, nicht durch Gesamtrechtsnachfolge vererblich (Palandt/Weidlich, § 1922 BGB Rn. 14 ff.). Unvererblich sind die Verpflichtung des Schenkers bei Rentenversprechen (§ 520 BGB), die vertragliche Verpflichtung zur Dienstleistung (§ 613 BGB), die Verpflichtung des Beauftragten (§ 673 BGB), die Verpflichtung des Geschäftsbesorgers (§ 675 BGB), das Vorkaufsrecht (§ 473 BGB), der Unterhaltsanspruch (§§ 1586 Abs. 1, 1615 Abs. 1 BGB) und der Nießbrauch (§ 1061 BGB). Darüber hinaus steht es den Parteien eines Vertrags grundsätzlich frei, vertragliche Rechte durch Vereinbarung unvererblich zu stellen. So kann etwa vereinbart werden, dass vertragliche Nutzungsrechte mit dem Tod enden oder Benutzerkonten mit allen Inhalten und Daten mit dem Tod des Nutzers zu löschen sind und diesbezügliche Rechte des Erblassers nicht auf den Erben übergehen (vgl. Gloser MittBayNot 2016, S. 12, 14).

Nach allgemeiner Auffassung sind auch höchstpersönliche Rechte und Rechtspositionen nicht vererblich. Der Sinn der Vorschriften, die bestimmte Positionen dem Übergang kraft Erbfolge entziehen, liegt ebenfalls in der Anerkennung eines besonderen individuellen Bezugs. Dieses Prinzip kommt wohl auch in § 399 BGB zum Ausdruck. Nach dieser Vorschrift können Forderungen nicht abgetreten werden, wenn ein Wechsel des Gläubigers den Inhalt der Forderung verändern würde. Entsprechend sind Rechtspositionen höchstpersönlicher Natur so stark von der Person des Erblassers geprägt, dass sie nicht ohne eine Änderung ihres Gehalts auf den Erben übergehen könnten. Dies dürfte als allgemeiner Rechtsgrundsatz anzusehen sein, der es rechtfertigt, höchstpersönliche Rechte von der erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge auszunehmen. Als höchstpersönliche Rechte anerkannt sind zum Beispiel das Namensrecht und ideelle Komponenten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Palandt/Weidlich, § 1922 BGB Rn. 36; Münchener Kommentar/Leipold, § 1922 BGB Rn. 98 ff.).

Keine Durchbrechung der erbrechtlichen Universalsukzession

Stimmen in der Literatur hatten in der Vergangenheit die Frage aufgeworfen, inwiefern Teile des „digitalen Nachlasses“ höchstpersönlicher Natur und deshalb unvererblich seien. Inzwischen hat sich eine weithin akzeptierte Auffassung etabliert.

Offenbar rief der häufig persönliche und vertrauliche Inhalt des „digitalen Nachlasses“ das Empfinden hervor, dass ein erhöhter Schutz – über das allgemeine Erbrecht hinaus – auch im Erbfall notwendig sei. Der bloße Umstand, dass Teile des „digitalen Nachlasses“ private Angelegenheiten des Erblassers berühren, der Erblasser zu seinen Lebzeiten eine Offenlegung gegenüber dem Erben oder anderen Personen möglicherweise abgelehnt hätte und ein Bekanntwerden dem Erblasser mutmaßlich unangenehm gewesen wäre, kann die Vererblichkeit allerdings nicht ausschließen. Ein Rechtssatz, dass Nachlassbestandteile mit vertraulichem Charakter nicht auf den Erben übergingen, existiert nicht. Ein Nachlass umfasst nahezu immer vertrauliche Unterlagen und Korrespondenz. Diesbezüglich wird eine Einschränkung der Rechtsnachfolge durch den Erben nicht erwogen. Es besteht kein sachlicher Grund, dies für den „digitalen Nachlass“ anders zu beurteilen.

Gelegentlich wird unterschieden zwischen vermögensrechtlichen Positionen, die grundsätzlich vererblich, und nicht vermögensrechtlichen Positionen, die grundsätzlich unvererblich seien (Münchener Kommentar/Leipold, § 1922 BGB Rn. 19). Diese Auslegungsregel ist nur begrenzt von Nutzen: In einem E-Mail-Account werden sich oft sowohl geschäftliche E-Mails zu Vertragsbeziehungen und anderen vermögensrechtlichen Positionen finden als auch private E-Mails ohne Vermögensbezug. Nach einer schon vor längerer Zeit entwickelten Ansicht sollen E-Mails des Erblassers mit privatem Inhalt nach Eintritt des Erbfalls den nächsten Angehörigen des Erblassers zuzuleiten seien (Hoeren NJW 2005, 2113, 2114). Diskutiert wurde sogar eine Verpflichtung von Dienstleistern und Vertragspartnern des Erblassers, entweder selbst oder durch einen Dritten, etwa einen Testamentsvollstrecker, Inhalte des „digitalen Nachlasses“ des Erblassers zu sichten und vermögensrechtlich relevante Inhalte den Erben und höchstpersönliche Inhalte den Angehörigen des Erblassers zugänglich zu machen (Martini JZ 2012, S. 1145, 1152).

Die mangelnde Praktikabilität derartiger Sichtweisen zeigt bereits die Überlegung, dass dieselbe E-Mail sowohl private Inhalte als auch Vertragskorrespondenz enthalten kann. Auch sachlich sind diese Vorschläge nicht überzeugend. Lediglich einige wenige gesetzliche Regelungen räumen Angehörigen des Erblassers – und gerade nicht den Erben – Befugnisse ein, so etwa hinsichtlich des Rechts am eigenen Bild (§ 22 S. 3 KunstUrhG), der Verbreitung von Bildnissen (§ 60 Abs. 1 UrhG) und der Strafantragsberechtigung (§ 77 Abs. 2 StGB). Dem stehen die Sonderregelungen in § 2047 Abs. 2 BGB und § 2373 Satz 2 gegenüber, die erkennen lassen, dass nach der Konzeption des Gesetzes private Schriftstücke und Bilder des Erblassers durchaus Teil des Nachlasses sind. Demnach ist nicht erkennbar, dass etwa Nachlassbestandteile mit privatem Inhalt aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung der Erbfolge und dem Zugriff der Erben generell entzogen sein sollten. Der Erblasser kann seine Rechtsnachfolge von Todes wegen aufgrund seiner Testierfreiheit nach eigenen Vorstellungen regeln und insbesondere seine Erben selbst bestimmen. Wenn der Erblasser andere Personen als seine nächsten Angehörigen zu Erben beruft, ist diese Entscheidung auch für den „digitalen Nachlass“ zu respektieren. Wenn der Erblasser nahe Angehörige nicht berücksichtigt und andere Personen zu seinen Erben bestimmt, ist anzunehmen, dass der Erblasser bewusst entschieden hat, eben auch Nachlassteile vertraulicher Natur auf die berufenen Erben und nicht die Angehörigen übergehen zu lassen. Auch das Eigentum an vertraulichen und sehr persönlichen Unterlagen geht auf die Erben über. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund Angehörige, wenn sie denn aufgrund einer Entscheidung des Erblassers nicht Erben geworden sind, über die gesetzlich geregelten Ausnahmen hinaus Rechte am Nachlass, sogar ein „besseres Recht“ haben sollten als die kraft der Testierfreiheit des Erblassers berufenen Erben. Zu Recht wird daher ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass allgemeine erbrechtliche Regelungen auch für den „digitalen Nachlass“ anzuwenden sind und die Universalsukzession der Erben eintritt (vgl. Gloser MittBayNot 2016, S. 12, 15 f.; Lange/Holtwiesche ZErb 2016, S. 125, 127 f.; Herzog NJW 2013, S. 3745, 3746 ff.; Steiner/Holzer ZEV 2015, S. 262, 263; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Berlin, Juni 2013, S. 48 ff.; so auch LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15).

Einzelne Ansprüche und Rechte

Dementsprechend wird der Erbe Eigentümer der Hardware des Erblassers, einschließlich der Speichermedien und der auf den Speichermedien des Erblassers gespeicherten Inhalte. Der Erbe tritt auch als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers als Vertragspartei in die Verträge ein, die der Erblasser geschlossen hat, etwa über Telekommunikationsleistungen, Internetdienstleistungen, Domains oder die Einräumung von Nutzungsrechten. Der Erbe kann vertragliche Rechte, Haupt- und Nebenansprüche geltend machen, indem er zum Beispiel nach näherer Maßgabe der vertraglichen Bestimmungen den Vertrag kündigt, Auskunft über Vertragsinhalte, Passwörter und Zugangsdaten des Erblassers oder eine Löschung von Inhalten verlangt.

Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob den vertraglichen Auskunftsansprüchen des Erben Bestimmungen des Datenschutzrechts, das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers oder das Fernmeldegeheimnis entgegenstehen können. Nach wohl überwiegender Auffassung bestehen derartige Begrenzungen grundsätzlich nicht (s. zu dieser Problematik Lange/Holtwiesche ZErb 2016, S. 157; Steiner/Holzer ZEV 2015, S. 262, 264; Klas/Möhrke-Sobolewski NJW 2015, S 3473, 3476 ff.; Deusch ZEV 2014, S. 2, 5; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Berlin, Juni 2013; LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15). Diese Frage soll hier nicht vertieft werden. Der Deutsche Anwaltverein hat sich aktuell für eine klarstellende Ergänzung des Telekommunikationsgesetzes zum Vorrang des Erbrechts ausgesprochen (Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 13.9.2016, abrufbar im Internet unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/djt-2-16-dav, Abruf vom 15.9.2016).

Gegenstand einer aktuellen Diskussion in der Literatur sind außerdem Regelungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen verschiedener Dienstleister zum Vorgehen im Erbfall. Zwar sind individualvertragliche Regelungen vorrangig, doch werden Verträge über die Nutzung von E-Mail-Accounts, Messenger-Diensten und sozialen Netzwerken, Online-Banking und Datenspeicherung üblicherweise nicht individuell verhandelt, sondern unter Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen geschlossen. Bedenken werden sowohl gegen betont restriktive Regelungen, wie die Löschung von Inhalten im Todesfall oder die Unterbindung des Zugangs für die Erben, als auch gegen eher sorglose Praktiken, wie die Gewährung des Zugangs ohne Nachweis der Erbenstellung, vorgebracht (Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Berlin, Juni 2013, S. 59 ff.; Lange/Holtwiesche ZErb 2016, S. 125, 128 f.; vgl. auch LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15).

Einige wenige Rechte und Zuständigkeiten fallen aufgrund besonderer gesetzlicher Bestimmung nicht den Erben, sondern Angehörigen des Erblassers zu. So bedarf die Veröffentlichung von Bildnissen des Erblassers innerhalb von zehn Jahren nach seinem Tod gemäß § 22 KunstUrhG der Zustimmung der dort genannten Angehörigen, die auch gemäß § 60 Abs. 2 UrhG zur Vervielfältigung und Verbreitung von Bildnissen des Erblassers befugt sind.

Auslandsbezüge

Vertragsstatut

Wie allgemein bekannt, sind zahlreiche Anbieter von sozialen Netzwerken, E-Mail-Accounts, Messenger-Diensten, Online-Shops und anderen Dienstleistungen in der digitalen Welt mit führender Marktstellung außerhalb Deutschlands ansässig, insbesondere in den USA. Ein inländischer Nutzer begründet häufig vertragliche Beziehungen mit ausländischen Rechtssubjekten. Es ist durchaus denkbar, dass sich die vertraglichen Ansprüche des Erben, der an Stelle des Erblassers in den Vertrag eintritt, nach einem ausländischen Vertragsstatut richten.

Nach deutschem Kollisionsrecht können die Vertragsparteien das auf den Vertrag anzuwendende Recht grundsätzlich frei wählen (Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO)). Mangels einer Rechtswahl legt Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 593/2008 das Vertragsstatut für bestimmte Vertragstypen fest. Für Dienstleitungsverträge gilt demnach das Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Sonstige Verträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem die Partei, die die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 2 VO (EG) Nr. 593/2008). Beide Regelungen stehen unter dem Vorbehalt, dass nicht offensichtlich eine engere Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates besteht (Art. 4 Abs. 3 VO (EG) Nr. 593/2008). Als gewöhnlicher Aufenthalt von Gesellschaften und juristischen Personen gilt deren Hauptverwaltung bzw. die mit dem Vertrag befasste Niederlassung (Art. 19 Abs. 1, 2 VO (EG) Nr. 593/2008). Diese Bestimmungen werden regelmäßig zur Anwendbarkeit des (ausländischen) Rechts der Hauptverwaltung oder Niederlassung des Anbieters führen. In diesen Fällen unterliegt das Vertragsverhältnis ausländischem Recht.

Ein abweichendes Bild ergibt sich für Verbraucherverträge. Nach Art. 6 Abs. 1 VO (EG) Nr. 593/2008 unterliegt ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesem Staat ausübt oder seine Tätigkeit (auch) auf diesen Staat ausrichtet. Dies ist bei in Deutschland nutzbaren Online-Diensten zumeist der Fall. Eine Rechtswahl ist auch bei Verbraucherverträgen möglich, doch bleiben zwingende, den Verbraucher schützende Vorschriften des Staats seines gewöhnlichen Aufenthalts ungeachtet der Wahl einer anderen Rechtsordnung anwendbar (Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 593/2008). Viele Online-Dienste nehmen die Nutzer außerhalb einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit als Verbraucher in Anspruch. Diese Kollisionsnorm führt daher in vielen Fällen zur Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts.

Ist der Erbe auf eine Rechtsdurchsetzung im Ausland am Sitz des Anbieters angewiesen, bestimmen die dortigen Gerichte das Vertragsstatut nach ihrem eigenen Kollisionsrecht. Durch die VO (EG) Nr. 593/2008 wurde eine bedeutende Rechtsvereinheitlichung erreicht, die sich aber nur auf die Europäische Union mit Ausnahme Dänemarks und Großbritanniens bezieht. Andere Staaten kennen andere Kollisionsnormen, die zur Anwendung einer anderen Rechtsordnung auf das Vertragsverhältnis durch ein ausländisches Gericht führen können. Insbesondere die Anwendung deutscher Verbraucherschutzbestimmungen ist in dieser Konstellation nicht gewährleistet.

Die materiell-rechtlichen Ergebnisse der Anwendung einer ausländischen Rechtsordnung auf das Vertragsverhältnis entsprechen naturgemäß nicht durchgängig den Lösungen des deutschen Rechts. Im Einzelfall mag, abweichend von der Rechtslage, die sich nach deutschem Recht ergäbe, nach dem ausländischen Vertragsstatut ein Nutzungsrecht mit dem Tod des Erblassers beendet sein, oder der Erbe mag keinen vertraglichen Anspruch auf Mitteilung von Zugangsdaten oder auf Rücksetzung eines Accounts haben. Dies kann für den Erben unerwartete praktische Schwierigkeiten in der Nachlassabwicklung mit sich bringen.

Erbstatut und Nachweis der Erbenstellung

Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt aus deutscher Sicht dem Recht des Staates, in dem der Erblasser bei Eintritt des Erbfalls seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, es sei denn, dass offensichtlich eine engere Verbindung zu einem anderen Staat bestand (Art. 21 VO (EU) 650/2012 (EUErbVO)). Damit ist die früher auch in Deutschland maßgebende Anknüpfung an das Heimatrecht des Erblassers aufgegeben (Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 1. Auflage 2016, Einl Rn 34). Art. 22 VO (EU) 650/2012 eröffnet begrenzte Möglichkeiten einer Rechtswahl. Diese Kollisionsnormen werden bei Erblassern, die im Inland lebten, in der Regel zur Anwendung deutschen Erbrechts führen. Das Erbstatut umfasst insbesondere den Übergang der Vermögenswerte, Rechte und Pflichten des Nachlasses auf den Erben, die Rechte des Erben und die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten (Art. 23 Abs. 2 VO (EU) 650/2012). Die VO (EU) 650/2012 ist räumlich in den Staaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks, Großbritanniens und Irlands anzuwenden. Andere Staaten haben abweichende Kollisionsnormen, die die Erbfolge vollständig oder zum Teil  einer anderen Rechtsordnung unterwerfen können (vgl. Süß, Erbrecht in Europa, 3. Auflage 2015; Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Internationales Erbrecht, 97. Auflage 2016).

Sowohl in einem Inlandsfall als auch in einem Fall mit Auslandsberührung wird sich ein vorsichtiger Anbieter stets von der Erbenstellung einer Person überzeugen, die Auskunft über ein mit dem Erblasser begründetes Vertragsverhältnis oder über Zugangsdaten verlangt. Viele große ausländische Dienstleister zeigen allerdings nur geringe Bereitschaft, sich mit Anfragen von Erben zu befassen, die auf das deutsche Erbrecht gestützt werden (vgl. Lange/Holtwiesche ZErb 2016, S. 125, 126 f.; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Berlin, Juni 2013, S. 25 ff.; Deusch ZEV 2014, S. 2, 3; Steiner/Holzer ZEV 2015, S. 262, 264; Gloser MittBayNot 2016, S. 12, 18 f.). Im Inland wird der Nachweis des Erbrechts durch einen Erbschein geführt, der die Vermutung der Richtigkeit und öffentlichen Glauben beansprucht (§§ 2353, 2365, 2366 BGB). Ein deutscher Erbschein genügt jedoch im Ausland zum Nachweis des Erbrechts und der Erbenstellung in der Regel nicht. Vielfach sind eine gerichtliche Entscheidung oder eine notarielle Bescheinigung des Erbrechts notwendig. Ausländische Dienstleister verlangen häufig Erbnachweise nach ihrer Heimatrechtsordnung. Daraus können sich für den Erben erhebliche praktische Hindernisse in dem Bemühen um Zugang zum „digitalen Nachlass“ ergeben.

Vorsorge durch den Erblasser

Die wenigsten Menschen lassen sich bei der alltäglichen, kleinteiligen, laufend veränderten Nutzung von Angeboten der digitalen Welt von dem Gedanken an mögliche Probleme der Nachlassermittlung und Nachlassabwicklung nach ihrem Tod leiten. Das Interesse potentieller Erben an Übersichtlichkeit und Transparenz wird zu Lebzeiten des Erblassers kaum gewürdigt. Für den Erben ist es indessen eine große Hilfe, wenn er eine (aktualisierte) Übersicht über Mitgliedschaften, Domains, Nutzer-Accounts, Vertragsverhältnisse, Nutzungsrechte, Immaterialgüterrechte und den Datenbestand des Erblassers vorfindet, einschließlich aller Zugangsdaten und Kennwörter.

Praktikabel dürfte die Empfehlung sein, eine solche Übersicht elektronisch auf einem USB-Stick oder auf einer externen Festplatte passwortgeschützt zu speichern, den künftigen Erben, einen Bevollmächtigten und/oder den künftigen Testamentsvollstrecker über den Aufbewahrungsort des Speichermediums und das Passwort zu informieren (Steiner/Holzer ZEV 2015, S. 262, 266) und gegebenenfalls einen Hinweis auf den Aufbewahrungsort des Speichermediums und das Passwort zu den schriftlichen privaten Unterlagen zu nehmen. Die Aufnahme einer solchen Übersicht über den „digitalen Nachlass“ in die letztwillige Verfügung ist demgegenüber nicht sinnvoll, da die zu erwartenden recht häufigen Änderungen jeweils eine Ergänzung der letztwilligen Verfügung erfordern würden und da letztwillige Verfügungen im Todesfall gegebenenfalls einer größeren Personenzahl, einschließlich den Pflichtteilsberechtigten, bekannt werden, deren Kenntnisnahme vom „digitalen Nachlass“ vielleicht unerwünscht ist (auf diesen Aspekt weist Gloser MittBayNot 2016, S. 101, 104, zu recht hin). Auch die Hinterlegung einer Übersicht in Papierform in einem Bankschließfach ist bei häufigen Aktualisierungen beschwerlich. Übersichten und Zugangsdaten können auch von Vertrauenspersonen, Notaren oder kommerziellen Anbietern aufbewahrt werden. Dabei sollten die Datensicherheit und Missbrauchsgefahren bedacht werden, ebenso die vergleichsweise aufwändige Aktualisierung bei Veränderungen sowie die Frage, ob die Vertrauensperson oder der kommerzielle Anbieter bei Eintritt des Erbfalls, also möglicherweise in fernerer Zukunft, noch verfügbar sein wird. Auch Vereinbarungen mit der Vertrauensperson, dem Notar oder dem kommerziellen Dienstleister zur Mitteilung der Daten an Dritte im Erbfall müssen einerseits Missbrauch erschweren, andererseits praktikabel bleiben.

Idealerweise sollte der Erblasser bei Regelung seiner Rechtsnachfolge von Todes wegen bewusst entscheiden, welcher Nachfolger nach seinem Tod Zugang zu welchen möglicherweise vertraulichen Inhalten haben soll. Der Erblasser kann differenzieren und zum Beispiel anordnen, dass bestimmte Vertragsverhältnisse auf den Erben übergehen sollen, dass aber eine andere Person als Vermächtnisnehmerin ausschließlich berechtigt sein soll, zum Beispiel Dateien mit digitalen Fotos zu sichten und zu nutzen. Der Erblasser kann auch anordnen, dass ein Testamentsvollstrecker bestimmte Teile des „digitalen Nachlasses“ sichtet und ermittelt und bestimmte Komponenten an verschiedene Personen weiterleitet, ohne diese über andere Inhalte zu unterrichten. Es besteht eine hohe Flexibilität, die ein Erblasser nutzen kann, wenn er über seine Vorstellungen und Wünsche reflektiert. Klare Regelungen in der letztwilligen Verfügung auch zum „digitalen Nachlass“ vermeiden rechtliche Ungewissheiten über die Rechte verschiedener Nachfolger.

Zumindest bei Online-Angeboten, die typischerweise über einen langen Zeitraum genutzt werden, zum Beispiel sozialen Netzwerken, kann es ratsam sein, dass der Erblasser den Anbieter über seine Entscheidungen für den Erbfall informiert. Einige Dienstleister bieten besondere Verfahren an, die die Vorkehrungen des Erblassers sinnvoll ergänzen können, zum Beispiel eine automatische Mitteilung an eine bestimmte dritte Person bei längerer Inaktivität (vgl. Gloser MittBayNot 2016, S. 101, 105; Deusch ZEV 2014, S. 2, 7) oder die Benennung eines Vertreters mit Zugangsrechten. Es kann etwa vereinbart werden, dass eine solche automatische Mitteilung an eine Person gerichtet wird, die die Testamentsvollstreckung übernehmen oder Erbe werden soll. Ein Blick in die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Dienstleistern, vor allem mit Sitz im Ausland, kann nützlich sein, um praktische und rechtliche Schwierigkeiten im Erbfall einschätzen zu können. Allerdings dürfte kaum ein Nutzer seine Entscheidung für einen Anbieter in erster Linie an derartigen Überlegungen ausrichten.

Realistisch wird man nicht annehmen können, dass die Nutzer von Mobil- und Online-Angeboten ihre Auswahl von Anbietern und Diensten von Schwierigkeiten abhängig machen, denen ihre Erben in hoffentlich ferner Zukunft begegnen können. Vielleicht könnten aber einige der vorstehend erörterten Vorkehrungen stärkere Verbreitung finden, die den Erben vollständige Informationen über den „digitalen Nachlass“ an die Hand geben, ohne für den Erblasser zu dessen Lebzeiten einen hohen Aufwand auszulösen. Zu Lebzeiten des Erblassers sind solche Vorkehrungen in gleicher Weise für einen Bevollmächtigten von Nutzen. Sie sollten deshalb auch anlässlich der Erteilung einer Vorsorgevollmacht erwogen werden. Schließlich ist zu wünschen, dass bei der Gestaltung letztwilliger Verfügungen der „digitale Nachlass“ als ein nicht unwesentlicher Teil des Vermögens in die Planung einbezogen wird. Informierte, bewusste, eindeutig festgehaltene Entscheidungen eines Erblassers sind für die Rechtsnachfolger, die Testamentsvollstrecker und die Berater deutlich angenehmer als die Ermittlung des mutmaßlichen Erblasserwillens aus mehr oder minder verlässlichen Anhaltspunkten.

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