Arbeitszeitkonto und Abgeltungsklage auch bei Vertrauensarbeitszeit möglich

Veröffentlicht am 15th Jun 2016

In der Praxis vereinbaren Arbeitsvertragsparteien häufig Vertrauensarbeitszeit. Dabei bleibt teilweise unklar, was damit genau gemeint sein soll, insbesondere wenn arbeits- oder tarifvertraglich zugleich von der Führung eines Arbeitszeitkontos ausgegangen wird. Zu einer solchen Konstellation hat das BAG (Urteil vom 23. September 2015 – 5 AZR 767/13) nun geurteilt, dass die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit und die Führung eines Arbeitszeitkontos sich nicht ausschließen. Der Arbeitgeber vertraut darauf, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllt. Dem steht weder die Führung eines Arbeitszeitkontos entgegen, noch schließt sie die Abgeltung eines aus Mehrarbeit des Arbeitnehmers resultierenden Zeitguthabens aus. Die hohen Anforderungen an die Darlegung der Überstunden und deren arbeitgeberseitige Anordnung bleiben aber bestehen.

Der Sachverhalt

Seit 2007 war die Klägerin bis zu ihrer Kündigung am 31. März 2012 als Bürofachkraft und zuletzt Leitung des sog. Back Office bei der Beklagten tätig. Ihr Arbeitsplatz befand sich im Vorzimmer der Geschäftsführung. Die Parteien vereinbarten arbeitsvertraglich die Führung eines Arbeitszeitkontos.

Die Höhe der geleisteten Plusstunden legte die Beklagte der Klägerin in Form eines Berichtes für den Zeitraum vom 1. Juni 2007 bis zum 25. November 2008 vor. Das Guthaben belief sich dabei auf 414 Stunden. Ab dem 26. November 2008 führte die Klägerin eine eigene Arbeitszeitaufstellung, die sie der Beklagten nicht vorlegte. Aus dieser ergeben sich mehr als 200 weitere Überstunden. Auf die Aufforderung kurz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ihr eine Abrechnung des Arbeitszeitkontos zu übersenden, machte die Beklagte allerdings geltend, das Zeitkonto stünde auf null. Zudem sei ein solches nicht mehr zu führen gewesen, da die Parteien kurz nach Beginn des Arbeitsverhältnisses Vertrauensarbeitszeit vereinbart hätten. Überstunden seien von der Beklagten nicht angeordnet, gebilligt oder geduldet und auch nicht notwendig gewesen. Die Ansprüche seien zudem verfallen und verjährt.

Daraufhin reichte die Klägerin Klage ein, legte die arbeitgeberseitige sowie die von ihr gefertigte Arbeitszeitdokumentation vor und forderte EUR 18.357,28 brutto nebst Zinsen zur Abgeltung ihres Arbeitszeitguthabens. Das Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) hat der Klage, anders als noch die Vorinstanz, vollumfänglich stattgegeben.

Die Entscheidung

Das BAG hat der Klage nur zum Teil, nämlich bezogen auf die Vergütung der ursprünglich von der Beklagten erfassten 414 Überstunden, stattgegeben.

Die Klägerin habe ein Zeitguthaben von 414 Stunden schlüssig dargelegt, da die Beklagte diese durch vorbehaltlose Ausweisung der Stunden streitlos gestellt und zugestanden habe. Zu einem Ausgleich der Überstunden habe die Beklagte nichts vorgetragen. Ein Verzicht auf den Abgeltungsanspruch sei ebenfalls nicht erfolgt.

Die Parteien hätten keine vom Arbeitsvertrag abweichende Vereinbarung getroffen, auch nicht durch die Vereinbarung einer Vertrauensarbeitszeit. Vertrauensarbeitszeit bedeute nur, dass der Arbeitgeber darauf vertraut, der Arbeitnehmer werde seine Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen. Dies stehe der Führung eines Arbeitszeitkontos nicht entgegen und schließe die Abgeltung eines aus Mehrarbeit des Arbeitnehmers resultierenden Zeitguthabens nicht aus.

Allerdings sei die Klage im Hinblick auf zusätzlich seit dem 26. November 2008 geleistete und nur von der Klägerin dokumentierte Überstunden unbegründet. Die Klägerin habe insofern zwar die Leistung der Überstunden schlüssig dargelegt, nicht jedoch die arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung. Letztere seien jedoch Voraussetzungen für die Pflicht zur Vergütung von Überstunden. Darzulegen sei, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen seien. Eine Billigung scheide hier schon mangels Kenntnis der Überstundenaufzeichnungen aus; für eine Duldung fehle es am Vortrag dazu, dass die Geschäftsführung jeweils anwesend war und die Leistung der Überstunden unmittelbar zur Kenntnis nahm.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung bestätigt den Grundsatz, dass der Arbeitnehmer nur dann mit einer Vergütung für geleistete Überstunden und Mehrarbeit rechnen kann, wenn der Arbeitgeber ihn dazu veranlasst hat oder diese ihm zuzurechnen sind. Die hierfür sprechenden Umstände muss der Arbeitnehmer schlüssig darlegen und ggf. beweisen. Vom Arbeitgeber übergebene Arbeitszeitaufstellungen sind insofern als zugestandene Erbringung von Überstunden zu werten.

Ist arbeitsvertraglich Vertrauensarbeitszeit vereinbart (was hier im Übrigen streitig war), so ersetzt dies nicht automatisch eine frühere Vereinbarung über das Führen eines Arbeitszeitkontos. Vielmehr kann ein Arbeitnehmer auch die ihm übergebene Kontrolle über die zeitliche Erbringung der Arbeitsleistung und den Ausgleich von Minder- und Mehrarbeit mittels Arbeitszeitdokumentation vornehmen. Ebenso hindert Vertrauensarbeitszeit nicht das Entstehen eines Anspruchs auf Überstundenabgeltung.

Oft scheitert dieser in der Praxis aber daran, dass der Arbeitnehmer die Anordnung bzw. Billigung der Überstunden nicht ausreichend darlegen und beweisen kann. Insofern hat das BAG es abgelehnt, den Verzicht auf regelmäßige Vorlage und Prüfung der Arbeitszeitaufzeichnungen bereits als Zugeständnis der Überstunden seitens des Arbeitgebers zu werten.

Arbeitgebern ist zu raten, auch bei Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit ein Auge darauf zu haben, dass Mitarbeiter nicht im größeren Umfang als gewünscht Überstunden erbringen, über deren Abgeltung später ggf. gestritten wird. Dies kann und sollte insbesondere Aufgabe der jeweiligen Vorgesetzten sein. Schutz gegen umfangreiche Forderungen nach Abgeltung von Überstunden bieten im Übrigen nur arbeitsvertragliche Vereinbarungen zu einer vollständigen Abgeltung (wirksam erst ab einem gewissen Vergütungslevel) bzw. jedenfalls teilweisen Abgeltung von Überstunden mit dem Gehalt.

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