Gewerblicher Rechtsschutz / IP

EPG-Berufungsgericht entscheidet über Grundsatzfragen zur Auslegung von Europäischen Patenten

Veröffentlicht am 10th Apr 2024

Das zum 1. Juni 2023 übernational errichtete Einheitliche Patentgericht (EPG) entscheidet über Fragen der Verletzung und des Rechtsbestands von Einheitspatenten und europäischen Patenten. Die Klärung prozessualer Grundsatzfragen sowie die Entwicklung erster richterlicher Leitlinien wird seitdem mit Spannung verfolgt. In dieser Beitragsserie stellen wir regelmäßig spannende Entscheidungen des EPG vor und bereiten die wesentlichen Kernaspekte verständlich auf.

EPG (Berufungsgericht), Anordnung vom 26.02.2024, UPC_CoA_335/2023

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Die Berufungsinstanz des EPG hat sich im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einstweiliger Maßnahmenerstmals zu grundlegenden Auslegungsfragen im Patentrechtsstreit geäußert. In der Anfang März veröffentlichten Entscheidung stellt das EPG erste grobe Leitlinien zur Auslegung von europäischen Patentansprüchen auf und äußerst sich nebenbei zur Verteilung der Beweis- und Darlegungslast im einstweiligen Verfügungsverfahren.

Der Entscheidung zugrunde liegt ein von der US-amerikanischen Antragstellerin im April 2022 angemeldetes Europäisches Patent im Bereich der Analytdetektion – einem Verfahren zum Nachweis bestimmter Biomarker in Zell- und Gewebeproben. Die Lokalkammer München hatte in der Vorinstanz den Antragsgegnerinnen – einer Unternehmensgruppe – vorläufig verboten, ähnliche Analysesysteme und -verfahren anzubieten bzw. durchzuführen (EPG (Lokalkammer München), Anordnung vom 19.09.2023, UPC_CFI_2/2023)

Die Antragsgegnerinnen legten gegen die Entscheidung der Lokalkammer Berufung ein und argumentierten dabei im Wesentlichen mit zwei Einwänden: Zum einem falle die angegriffene Tätigkeit der Antragsgegnerinnen nicht in den Schutzbereich des Patentanspruchs, jedenfalls aber sei das von der Antragsstellerin angemeldete Einheitspatent mangels erfinderischer Tätigkeit unwirksam.

Das Berufungsgericht gab den Antragsgegnerinnen vollumfänglich recht und hob die Entscheidung der Vorinstanz folglich auf. 

Auslegung der Patentansprüche nicht nur anhand des Wortlauts 

Um eine mögliche Verletzung des geltend gemachten Patents prüfen zu können, musste das Gericht zuerst den Schutzbereich des geltend gemachten Patentanspruchs ausloten. Dabei stellte das Berufungsgericht ausdrücklich klar, dass für die Auslegung des Patentanspruchs nicht allein der Wortlaut im sprachlichen Sinne der Patentanmeldung maßgeblich ist. Vielmehr sind auch die dazugehörigen technischen Beschreibungen und Zeichnungen zur Auslegung heranzuziehen. 

„Der Patentanspruch ist nicht nur der Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs eines europäischen Patents. 

Für die Auslegung eines Patentanspruchs kommt es nicht allein auf seinen genauen Wortlaut im sprachlichen Sinne an […]. Vielmehr sind die Beschreibung und die Zeichnungen als Erläuterungshilfen für die Auslegung des Patentanspruchs stets mit heranzuziehen und nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten im Patentanspruch anzuwenden.

Das bedeutet aber nicht, dass der Patentanspruch lediglich als Richtlinie dient und sich sein Gegenstand auch auf das erstreckt, was sich nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Pateninhabers darstellt.“

Im Rahmen der Auslegung ist dabei ein angemessener Schutz für den Patentinhaber mit der für Dritte notwendigen Rechtssicherheit in Ausgleich zu bringen.

Für die Auslegung von Patentansprüchen sei dabei stets die Sichtweise einer Fachperson einzunehmen.

Diese Auslegungsgrundsätze sind aus Sicht des Berufungsgerichts gleichermaßen für die Beurteilung der Verletzung und des Rechtsbestands eines europäischen Patents heranzuziehen.

Fragliche Bestandskraft des streitgegenständlichen Patents; zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im einstweiligen Verfügungsverfahren

Vor diesem Hintergrund gab das Berufungsgericht des EPG der ersten Instanz hinsichtlich der Auslegung des angemeldeten Patents inhaltlich zwar teilweise recht, wies gleichwohl aber den Verfügungsanspruch der Antragstellerin zurück. Aus Sicht des Berufungsgerichts könne nämlich nicht mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das betroffene Patent überhaupt rechtsbeständig ist. Dies galt sowohl für die Ursprungsfassung als auch für die hilfsweise geltend gemachte eingeschränkte Anspruchsfassung. 

Dabei liegt die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen, welche die Zulässigkeit des Verfahrens sowie die Verletzung des Patents begründen, bei der Antragstellerin. Die Antragsgegnerinnen hingegen sind insbesondere für solche Umstände beweisbelastet, welche die Gültigkeit des streitigen Patentanspruchs betreffen. Dieser Grundsatz gilt sowohl im Haupt- als auch im Eilverfahren.

Das Berufungsgericht des EPG erachtete es vor diesem Hintergrund für überwiegend wahrscheinlich, dass das Einheitspatent sich im Hauptsacheverfahren mangels hinreichender erfinderischer Tätigkeit nicht als patentfähig erweisen wird, womit es einer ausreichend sicheren Grundlage für den Erlass einer einstweiligen Verfügung fehlen würde. 

Dass die Antragsgegnerinnen die Argumente gegen den Rechtsbestand des streitgegenständlichen Patents in der Fassung des Hilfsantrags erst während der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens vortrugen, betrachtet das Gericht nicht als Verstoß gegen Regel 222.1 Verfahrensordnung. Die Antragsgegnerinnen hatten ihren Vortrag vorher auf die Zulässigkeit des Hilfsantrags konzentriert und lediglich einen richterlichen Hinweis beantragt, falls ein Vortrag zum Inhalt des Hilfsantrags erforderlich sein sollte. Dieser Hinweis wurde durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung erteilt.

Fazit und Ausblick

Mangels der Antragstellerin zur Verfügung stehenden Rechtsmittels gegen die Berufungsentscheidung ist diese somit im Eilverfahren endgültig. Wie sich die zwischenzeitliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Seiten der Antragsgegnerinnen auf die zwischen den Parteien schwelenden Auseinandersetzung auswirken wird, bleibt abzuwarten. 

Für künftige Patentverletzungsverfahren interessant bleiben jedenfalls die vom EPG aufgestellten Grundsätze zur Auslegung von Patentansprüchen sowie zur Verteilung der Beweislast. 

Keine Aussage trifft das Berufungsgericht hingegen zu der noch in der ersten Instanz kontrovers diskutierten Frage zum Erfordernis der Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren. Ob dies bedeutet, dass das Berufungsgericht im Hinblick auf die Dringlichkeit keine Probleme sah oder ob das Berufungsgericht diese Frage angesichts der aus Sicht des Berufungsgerichts bereits aus anderen Gründen scheiternden Verfügungen als nicht entscheidungsrelevant betrachtet hatte, bleibt daher offen.

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