Dauer des Konsultationsverfahrens vor Massenentlassungsanzeigen nach § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Veröffentlicht am 6th Dez 2016

Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG gilt als gescheitert, wenn der Betriebsrat keine weitere Verhandlungsbereitschaft über Maßnahmen zur Vermeidung oder Einschränkung von Massenentlassungen erkennen lässt, BAG, Urteil vom 22. September 2016 – 2 AZR 276/16.

Der Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG.

Die Beklagte erbrachte Passagedienstleistungen, d.h. Hilfe beim Check-In von Passagieren und deren Gepäck am Schalter – einschließlich der erforderlichen Prüfung der Reisedokumente an Flughäfen. Zu Ende März 2015 kündigte ihre einzige Auftraggeberin sämtliche Aufträge. Nach dem Scheitern eines Interessenausgleichs im Dezember 2014 leitete die Beklagte ein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ein und teilte dem Betriebsrat mit, dass die einzige Auftraggeberin sämtliche Aufträge gekündigt hat. Die Beklagte entschied Ende Januar 2015, ihren Betrieb zum 31. März 2015 stillzulegen. Nach Erstattung einer Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG) kündigte sie alle Arbeitsverhältnisse.

Einige gegen diese Kündigungen eingelegten Kündigungsschutzklagen hatten wegen vermeintlicher Mängel im Verfahren nach § 17 KSchG in erster Instanz Erfolg, sodass die Beklagte sich entschloss, erneut Kündigungen auszusprechen. Sie leitete am 24. Juni 2015 – vorbehaltlich der Richtigkeit der Feststellungen in einem Parallelverfahren vor dem LAG Berlin-Brandenburg – ein weiteres Konsultationsverfahren ein und beriet mit dem Betriebsrat über eine mögliche „Wiedereröffnung“ des Betriebs. Nach Ansicht der Arbeitgeberin sei ihr das Konsultationsverfahren jedoch nur bei einer Absenkung der bisherigen Vergütungen der Mitarbeiter möglich. Sie setzte dem Betriebsrat eine Frist bis zum Ende des nächsten (Arbeits-)Tages.

Am darauffolgenden Tag teilte der Betriebsrat der Beklagten mit, dass der Betriebsrat erst eine Woche später, nämlich am 30. Juni 2015 beraten werde und ließ die gesetzte Frist fruchtlos verstreichen. Daraufhin kündigte die Beklagte – nach einer erneuten Massenentlassungsanzeige – die verbliebenen Arbeitsverhältnisse vorsorglich ein zweites Mal.

Mit der fristgerecht gegen die Kündigungen eingereichten Klage beantragte die Klägerin ihre Weiterbeschäftigung und verlangte hilfsweise einen Nachteilsausgleich (§ 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG).

Das Landesarbeitsgericht hat beide Kündigungen für unwirksam erachtet. Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision der Beklagten.

Die Entscheidung

Die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte teilweise Erfolg.

Das BAG erachtete die erste Durchführung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG als nicht ausreichend, den Abbruch des zweiten Versuchs des Konsultationsverfahrens hingegen schon.

Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG habe der Arbeitgeber, der anzeigepflichtige Entlassungen beabsichtigt (§ 17 Abs. 1 KSchG), dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich über die in der Norm genannten Punkte zu informieren. Zudem haben Arbeitgeber und Betriebsrat insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern, § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG.

Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg im Hinblick auf die fehlerhafte Durchführung des ersten Konsultationsverfahrens. Denn es reiche für den Abschluss des Konsultationsverfahrens nicht aus, dass ein Arbeitgeber mitteilt, die einzige Auftraggeberin habe sämtliche Aufträge gekündigt. Es müssten schon von Gesetzes wegen alle zweckdienlichen Auskünfte erteilt werden. Folge des Gesetzesverstoßes sei im Umkehrschluss zu § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nach § 134 BGB die Unwirksamkeit der Kündigung.

Das BAG entschied jedoch, dass das Konsultationsverfahren als vorzeitig beendet angesehen werden könne, wenn der Betriebsrat keine Bereitschaft zu Verhandlungen zeigt. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, den Betriebsrat zu konsultieren, d.h. mit dem Betriebsrat zu beraten (§ 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG). Das BAG musste die Frage beantworten, ob und ggf. wie lange der Arbeitgeber den Versuch unternehmen müsse, mit dem Betriebsrat zu verhandeln, wenn dieser nicht verhandlungsbereit sei. Die Erfurter Richter entschieden, dass die Beklagte im Rahmen der zweiten Kündigung alles Erforderliche getan habe, um das Konsultationsverfahren korrekt durchzuführen. Dem Betriebsrat wurden alle erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt. Dieser ließ jedoch keine Bereitschaft erkennen, über die Vorschläge im Hinblick auf Lohnsenkungen zu verhandeln bzw. an entsprechenden Maßnahmen mitzuwirken. Dass der Arbeitgeber daraufhin die Verhandlungen als gescheitert ansah, erachtete das BAG als rechtens. Die Kündigung sei daher wirksam.

Der Klägerin wurde demnach weder ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung noch ein Anspruch auf Nachteilsausgleich zugesprochen.

Hinweise für die Praxis

Die fehlerhafte Durchführung des gesetzlich zwingend erforderlichen Konsultationsverfahrens birgt für den Arbeitgeber die Gefahr, dass im Anschluss ausgesprochene Kündigungen unwirksam sind – mit der für den Arbeitgeber misslichen Folge, zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet zu sein.

Arbeitgeber müssen alle zweckdienlichen Auskünfte erteilen und mit dem Betriebsrat insbesondere die Möglichkeiten beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Wie lange Beratungen andauern können, hat das BAG in früheren Entscheidungen offen gelassen und wird sich auch in Zukunft nach den Umständen des Einzelfalles richten.

Jedenfalls zeigt sich aus Arbeitgebersicht eine erfreuliche Tendenz durch das jüngste Urteil des BAG. Einem nicht beratungsbereiten Betriebsrat kann der Arbeitgeber das Scheitern des Konsultationsverfahrens entgegenhalten. Der Möglichkeit des Betriebsrats, Verhandlungen und zugleich Massenentlassungen hinauszuzögern, werden damit Schranken gesetzt.

Ob die Mitteilung des Betriebsrats, nicht fristgerecht Stellung nehmen zu können, nur im hiesigen Verfahren oder zukünftig stets zugleich als Abbruch der Verhandlungen angesehen werden kann, bleibt abzuwarten. Tendenziell wird der Betriebsrat wohl zukünftig vortragen müssen, weshalb ihm die zügigere Beratung der Vorschläge des Arbeitgebers nicht möglich sei und Beratungsbereitschaft signalisieren.

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