Zugangsrecht eines gekündigten Arbeitnehmers nach erhobener Kündigungsschutzklage an einer Betriebsversammlung zum Zweck der Einrichtung eines Wahlvorstandes

Veröffentlicht am 14th Jun 2017

Ist ein Arbeitnehmer gekündigt und hat er dagegen Kündigungsschutzklage erhoben, begründet dies in der Regel zwar eine Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Gleichwohl ist der Gekündigte hinsichtlich seines Zutrittsrechtes zu einer Betriebsversammlung wie ein Betriebsangehöriger zu behandeln, da nicht feststeht, dass der Gekündigte nicht mehr in den Betrieb zurückkehrt, Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg Vorpommern, vom 30.Januar 2017 – 3 TaBVGa 1/17.

Der Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über das Zugangsrecht zu einer Betriebsversammlung zum Zwecke der Errichtung eines Wahlvorstandes. Der Arbeitnehmer war als Schichtführer und Wickler bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 und vom 23. Januar 2017 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer jeweils außerordentlich. Zudem erteilte sie ihm ein Hausverbot. Der Arbeitnehmer erhob jeweils Kündigungsschutzklage.

Mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 hatte der Arbeitnehmer dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin eine Einladung die Durchführung einer Betriebsversammlung am 31. Januar 2017 zum Zweck der Bestellung eines Wahlvorstandes zur erstmaligen Wahl eines Betriebsrates übersandt.

Der Arbeitnehmer beantragte beim Arbeitsgericht die Aufhebung des Hausverbotes zur Teilnahme an der geplanten Betriebsversammlung. Das Arbeitsgericht gab dem Antrag statt. Die Arbeitgeberin legte gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts sofortige Beschwerde ein.

Die Entscheidung

Das LAG Mecklenburg Vorpommern entschied, dass die sofortige Beschwerde der Arbeitgeberin nicht begründet sei. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren sei begründet gewesen. Der Arbeitnehmer verfüge gegen den Arbeitgeber gemäß § 17 Abs. 3 in Verbindung mit § 42 Abs. 1 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Satz 1 BetrVG über den nötigen Verfügungsanspruch für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Nach diesen Regelungen darf niemand die Wahl des Betriebsrates behindern, wobei eine Behinderung auch dann vorläge, wenn ein Wähler, Wahlkandidat oder sonstig an der Wahl Beteiligter in der Ausübung seiner Rechte, Befugnisse oder Aufgaben beeinträchtigt oder beschränkt werde. Der Arbeitnehmer sei aufgrund seiner Arbeitnehmereigenschaft auch zur Einberufung und Durchführung der Wahlversammlung berechtigt gewesen.

Allen Arbeitnehmern des Betriebes sei gemäß § 17 Abs. 3 in Verbindung mit § 42 Abs. 1 BetrVG ein Zutrittsrecht zur Betriebsversammlung mit dem Ziel der Wahl eines Wahlvorstandes zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl zuzugestehen. Dieses Zutrittsrecht müsse auch der das Hausrecht ausübende Arbeitgeber gemäß § 20 Abs. 1 BetrVG beachten.

Die ausgesprochenen fristlosen Kündigungen stünden dem Zutrittsrecht nicht entgegen. Es komme nicht darauf an, ob die Kündigungen als offensichtlich unwirksam anzusehen seien. Für die Bejahung eines Zutrittsrechtes eines fristlos gekündigten Arbeitnehmers an einer (einmaligen und zeitlich begrenzten) Betriebsversammlung sei die offensichtliche Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung nicht erforderlich. Dies gelte im Gegensatz zum Fall einer begehrten dauerhaften Ausübung von Betriebsratstätigkeit durch ein außerordentlich gekündigtes Betriebsratsmitglied nach Einreichung einer Kündigungsschutzklage ohne vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch.

Die Wahlversammlung besteht gemäß § 42 Abs. 1 BetrVG aus den Arbeitnehmern des Betriebes und wird im Falle des § 17 Abs. 3 BetrVG von den Wahlinitiatoren bis zur Wahl eines Wahlversammlungsleiters geleitet. Teilnahmeberechtigt an der Betriebsversammlung seien alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob sie wahlberechtigt bzw. wählbar sind. Dies gelte auch für verhinderte Arbeitnehmer (z. B. Urlaub/Krankheit, Eltern- und Pflegezeit). Im Falle eines gekündigten Arbeitnehmers bleibe bei erhobener Kündigungsschutzklage die rechtswirksame Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und damit die Zugehörigkeit zur Arbeitnehmerschaft des Betriebes ungeklärt. Dies führe nicht zum Verlust des aktiven und passiven Wahlrechtes, sondern im Fall der Wahl zum Betriebsrat zur Bejahung eines Verhinderungsfalles hinsichtlich der Mandatsausübung. Das Gericht entschied, dass beim Arbeitnehmer hinsichtlich der Mandatsausübung von einem Verhinderungsfall auszugehen sei – dies stünde aber einem Zutrittsrecht des Arbeitnehmers zur Betriebsversammlung nicht entgegen.

Hinweise für die Praxis

Ein Arbeitgeber übt zwar das Hausrecht in seinem Betrieb aus – jedoch kann es dazu kommen, dass der Arbeitgeber auch einem (außerordentlich) gekündigten Arbeitnehmer ein Zutrittsrecht – in diesem Falle: zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes – gewähren muss.

Die Rechtsprechung stärkt an dieser Stelle die Bestrebung zur möglichst ungehinderten Gründung von Betriebsräten.

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