Weiteres Urteil im Brustimplantate-Fall

Veröffentlicht am 20th Feb 2017

EuGH konkretisiert die Verantwortung der benannten Stelle bei Medizinprodukten

Mit Urteil vom 16. Februar 2017 hat der Europäische Gerichtshof die Prüfungs- und Überwachungspflichten von benannten Stellen konkretisiert. Sie seien nicht generell verpflichtet, Medizinprodukte zu prüfen, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen. Allerdings bestehe diese Pflicht, wenn ihr Hinweise darauf vorliegen, dass die Produkte möglicherweise nicht (mehr) den gesetzlichen Anforderungen entsprechen (Urt. v.  16.02.2017, Az. C-219/15).

Hintergrund des Urteils ist ein Streit einer deutschen Klägerin mit dem TÜV Rheinland. Der TÜV war von einem französischen Hersteller von Brustimplantaten als so genannte benannte Stelle (Notified Body) mit der Konformitätsbewertung und Überwachung des Qualitätsmanagementsystems beauftragt worden.

Grundprinzipien des Medizinprodukterechts auf dem Prüfstand

Benannte Stellen sind von den jeweiligen Mitgliedsstaaten akkreditierte private Unternehmen, die insbesondere die sog. Konformitätsbewertung neuer Medizinprodukte übernehmen. Dabei prüft die benannte Stelle, ob das Medizinprodukt und die dahinterstehende Produktion im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere aus der europäischen Richtlinie 93/42/EWG ist. Nur wenn dies der Fall ist und auch im Weiteren bleibt, darf der Hersteller dem Produkt das sog. CE Siegel verpassen und es innerhalb des Binnenmarkts und auch in weiteren Ländern frei vertreiben.

Im Fall des französischen Herstellers hatte der TÜV Rheinland die Konformität zunächst bestätigt. Später stellte sich jedoch heraus, dass der Hersteller minderwertiges Industriesilikon anstelle des zugelassenen Silikons für die Herstellung der Brustimplantate verwendet hatte. Wie die Klägerin hatten etliche Frauen Entzündungen oder auch  Krebsleiden auf Grund des falschen Silikons erlitten – das sorgte für erhebliches Aufsehen und stellte einige Grundprinzipien des vor allem auf Eigenverantwortung der Hersteller fußenden Medizinprodukterechts in Frage. Der Skandal gab auch den Anstoß für die Reform des Medizinprodukterecht, deren vorläufiges Ende mit den  voraussichtlich noch im ersten Halbjahr 2017 verabschiedeten neuen europäischen Verordnungen zu Medizinprodukten und In-Vitro Diagnostika erreicht werden wird.

Welche Pflichten hat die benannte Stelle?

Eine häufig gestellte Frage war die nach der Verantwortung der benannten Stelle. Im konkreten Fall hatte der TÜV Rheinland den französischen Hersteller insgesamt acht Mal angekündigt besichtigt. Dabei hatte der TÜV aber weder Geschäftsunterlagen des Herstellers begutachtet, noch das Produkt einer Produktprüfung unterzogen.

Die Klägerin verlangte darum vom TÜV Schmerzensgeld wegen der Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten. Der TÜV wandte dagegen ein, dass er nicht zu einer weitergehenden Prüfung verpflichtet gewesen sei. In den ersten Instanzen wurde die Klage jeweils abgewiesen. Der Bundesgerichtshof sah aber Klärungsbedarf bei der Frage, welche Pflichten der benannten Stelle aus der Richtlinie 93/42/EWG erwachsen und inwiefern die benannte Stelle überhaupt gegenüber dem Endnutzer zur Verantwortung gezogen werden kann und legte diese Fragen dem EuGH zur Prüfung vor.

Bei Verdachtshinweisen Prüfpflicht

Der EuGH urteilte, dass der benannten Stelle keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten. Der TÜV Rheinland wurde also in seiner Rechtsauffassung bestätigt, dass zumindest grundsätzlich keine weitergehende Prüfungspflicht bestehe.

Das Urteil des EuGH geht jedoch über diese grundsätzliche Feststellung hinaus. Jedenfalls dann, wenn Hinweise vorliegen, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG möglicherweise nicht erfüllt, eine Pflicht der benannten Stelle alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen.

Wann ein solcher Hinweis vorliegt, hat der EuGH in seinem Urteil offen gelassen. Die Formulierung, wonach der Hinweis auf einen möglichen Verstoß genügt, deutet auf eine sehr niedrige Verdachtsschwelle hin. Der BGH wird entscheiden müssen, ob diese im konkreten Fall überschritten wurde.

Vorgeschmack auf neue Vorschriften

Für die Zukunft sind die benannten Stellen gut beraten, immer dann entsprechenden Hinweisen umgehend und unter Zuhilfenahme aller erforderlichen Mittel nachzugehen, wenn die Konformität des Produktes nicht mehr vorbehaltlos bestätigt werden kann. In Beantwortung einer weiteren Vorlagefrage beurteilte der EuGH, die entsprechenden Vorgaben der Medizinprodukterichtlinie als Schutzgesetze, die (auch) dem Schutz des Endnutzers der Medizinprodukte dienen. Damit haben die Richter bestätigt, dass ein Endnutzer sich auch direkt gegen die benannte Stelle wenden kann, wenn ihm oder ihr auf Grund einer fehlerhaften Prüfung ein Schaden entstanden ist.

Das Urteil gibt einen Vorgeschmack auf das, was voraussichtlich unter dem Regime der neuen Medizinprodukteverordnung auf benannte Stellen und Hersteller von Medizinprodukten zukommt. Der zwischen Europäischem Parlament und Europäischem Rat abgestimmte Entwurf schreibt vor, dass auch dann, wenn kein Hinweis auf einen Verstoß vorliegt, die benannte Stelle bei Herstellern von Medizinprodukten der Klassen IIa, IIb oder III wenigstens alle fünf Jahre unangekündigte Besichtigungen durchzuführen und in diesem Zusammenhang auch Proben des Produkts auf ihre Konformität zu untersuchen. Wie der EuGH klarstellt, besteht aber auch bereits unter den geltenden Regeln eine erhöhte Aufmerksamkeitspflicht der benannten Stellen.

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* This article is current as of the date of its publication and does not necessarily reflect the present state of the law or relevant regulation.

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