LG Mannheim begründet Zwangslizenzeinwand erstmals mit Art. 101 AEUV

Veröffentlicht am 7th Aug 2015

Der Inhaber eines standardessentiellen Patents kann zur Unterlassung der Patentdurchsetzung auch nach dem Kartellverbot (Art. 101 AEUV) verpflichtet sein, wenn er eine FRAND-Lizenzbereitschaftserklärung abgegeben hat und seinen Lizenzverhandlungspflichten nicht nachkommt. Der lizenzbereite Patentverletzer kann insoweit dem Verletzungsvorwurf einen aus § 33 GWB i.V.m Art. 101 AEUV resultierenden Unterlassungsanspruch entgegenhalten (LG Mannheim, Beschluss vom 21. November 2014 – 7 O 23/14 und weitere Parallelverfahren).

Der Sachverhalt

Die Klägerin (Philips) nimmt die taiwanesischen Beklagten wegen behaupteter Patentverletzung des für den DVD-Standard essentiellen Patents EP 0 745 307 in Anspruch. Die Verletzung des Klagepatents durch die Beklagte war dabei unstreitig.

Philips hatte sich allerdings gegenüber dem für die Normierung des DVD-Standards zuständigen DVD-Forum verpflichtet, Dritten Lizenzen zu FRAND-Bedingungen (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory) zu erteilen. Da sich die Beklagte lizenzbereit zeigte, hing die weitere Entscheidung davon ab, ob Philips zu einem konkreten Lizenzangebot nach den FRAND Kriterien verpflichtet ist und welchen Umfang die Verhandlungspflicht hat.

Das LG Mannheim hat den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO i.V.m. Art. 267 AEUV bis zur Entscheidung des EuGH im parallelen Vorabentscheidungsverfahren Huawei ./. ZTE (C-170/13) ausgesetzt.

Zentraler Aspekt des Verfahrens war dabei die Qualifizierung des DVD-Standards als Vereinbarung zwischen im Wettbewerb stehenden Unternehmen mit potentiell wettbewerbsbeschränkender Wirkung. Die damit erforderliche Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV kommt nach Ansicht des LG Mannheim nur in Betracht, wenn die FRAND-Selbstverpflichtungserklärung eingehalten wird.

Die Entscheidung

Das LG Mannheim stützt seinen Aussetzungsbeschluss auf Art. 101 AEUV und das zu Art. 102 AEUV anhängige Vorabentscheidungsverfahren des EuGH in Sachen Huawei ./. ZTE (C-170/13):

Nach Ansicht des LG Mannheim (a.a.O., Tz. II 1 b) kann dahinstehen, ob die Klägerin aufgrund des für den DVD-Standard essenziellen Klagepatents auf dem relevanten Produkt- oder Technologiemarkt eine beherrschende Stellung innehat und daher Normadressatin des kartellrechtlichen Missbrauchstatbestands (Art. 102 AEUV) ist. Jedenfalls habe die Klägerin nach eigener Darstellung gegenüber dem DVD-Forum in Übereinstimmung mit einer satzungsgemäß übernommenen Verpflichtung eine FRAND-Lizenzbereitschaftserklärung abgegeben; sie habe diese Bereitschaftserklärung im Laufe des Rechtsstreits gegenüber dem DVD-Forum bekräftigt und sehe sich auf der Grundlage dieser Erklärung selbst in der Pflicht, mit Lizenzsuchern zumindest in Verhandlungen über die Erteilung einer entsprechenden Lizenz einzutreten.

Auch wenn sich nach den Ausführungen des LG Mannheim aus der FRAND-Lizenzbereitschaftserklärung gegenüber dem DVD-Forum nicht unmittelbar ein Benutzungsrecht der Beklagten am Klagepatent ergibt, kommt es für die Entscheidung des Streitfalles darauf an, ob die Klägerin ihren sich aus der Lizenzbereitschaftserklärung ergebenden (Verhandlungs-)Pflichten ausreichend nachgekommen ist. Denn eine Durchsetzung patentrechtlicher Unterlassungsansprüche unter Missachtung dieser Pflichten verstößt nach vorläufiger Ansicht der Kammer gegen europäisches Kartellrecht aus Art. 101 AEUV. Da ein kartellrechtlich verbotenes Verhalten nicht mit Hilfe staatlicher Gerichte durchgesetzt werden darf (BGH, Urteil vom 6. Mai 2009 – KZR 39/06, BGHZ 180, 312 Rn. 27 – Orange-Book-Standard), kann dieser Einwand dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch auch unmittelbar entgegengehalten werden. Für einen Verstoß gegen das Kartellverbot kann nach dem LG Mannheim nichts anderes gelten, als für ein missbräuchliches Verhalten. Dem entspreche es, dass § 33 GWB im Fall eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV einen Unterlassungsanspruch gewährt. Dieser ist in der hier in Rede stehenden Fallkonstellation darauf gerichtet, dass der Patentinhaber die Durchsetzung des Patents unterlässt, solange er seinen sich aus der Lizenzbereitschaftserklärung ergebenden (Verhandlungs-)Pflichten nicht nachgekommen ist.

Im zuletzt erreichten Sach- und Streitstand sprach aus Sicht der Kammer alles dafür, dass die FRAND-Lizenzbereitschaftserklärung am Maßstab europäischen Kartellrechts zu messen ist. Die DVD-Standardisierung beinhaltete eine Vereinbarung zwischen im Wettbewerb stehenden Unternehmen, die mit Blick auf die damit verbundene Aufgabe alternativer technologischer Entwicklungen geeignet war, den Wettbewerb einzuschränken (Art. 101 AEUV). Eine solche dem Anwendungsbereich des Kartellverbots unterfallende Vereinbarung ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV statthaft.

Unter Verweis auf die Horizontal-Leitlinien der Kommission (Rn. 278 ff) stellt das LG Mannheim weiter fest, dass die Freistellungsvoraussetzungen durch die Etablierung eines Normungsmodells (Standard) herbeigeführt werden können, wenn der Standard unter anderem beinhaltet, Anwendern Zugang zu der standardisierten und patentierten Technologie zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien (i.e. FRAND-) Bedingungen zu gewährleisten. Diese Lösung hatte das DVD-Forum aus Sicht des LG Mannheim umgesetzt. Die Klägerin fühlte sich daran aber offensichtlich nicht (mehr) gebunden. Die Klägerin hatte gleichwohl nicht substantiiert dazu vorgetragen, dass die Voraussetzungen einer Freistellung auch dann erfüllt sind, wenn diese seinerzeit von den Mitgliedern des DVD-Forums offenbar für erforderlich gehaltene FRAND-Selbstverpflichtungserklärung entfallen würde. Hierfür ist laut des LG Mannheim angesichts der fortbestehenden Bedeutung des DVD-Standards auch nichts ersichtlich. Dass sich seit der DVD-Standardisierung alternative Videocodecs herausgebildet haben, genüge hierfür nicht. Denn die Freiheit der am Standardisierungsprozess Beteiligten, alternative Normen oder Produkte zu entwickeln, sei in der Regel eine zusätzliche Voraussetzung für die Freistellungsfähigkeit, vermag jedoch die FRAND-Selbstverpflichtungserklärung nicht zu ersetzen (Horizontal-Leitlinien der Kommission, Rn. 292 f).

Auch die abnehmende Bedeutung des DVD-Videostandards im Bereich der Computer und Laptops kann nach dem Verständnis der Kammer nicht dazu führen, dass die Klägerin aus der abgegebenen FRAND-Selbstverpflichtungserklärung entlassen wird. Der Zweck der allseitigen Zurverfügungstellung der standardisierten Technologie zu FRAND-Bedingungen besteht unter anderem darin, Produktinnovationen zu ermöglichen. Eine – hier im Übrigen nicht gegebene – Differenzierung der FRAND-Selbstverpflichtungserklärung danach, ob der Lizenzsucher auf dem Produktmarkt, auf dem er tätig werden möchte, auf die Lizenz angewiesen ist, wäre damit nicht vereinbar.

Hinweise für die Praxis

In seinem Aussetzungsbeschluss nähert sich das LG Mannheim dem Problem standardessentieller Patente von einer neuen Seite. Während Patentverletzer mit dem sog. Zwangslizenzeinwand in der Vergangenheit auf Art. 102 AUEV (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) setzten, sieht das LG Mannheim die FRAND-Selbstverpflichtungserklärung nunmehr als conditio sine qua non für eine Freistellung vertraglich vereinbarter Industriestandards nach Art. 101 Abs. 3 AEUV. Anders gesagt: Die Beteiligten des Standards setzten sich dem Vorwurf des Kartells aus, wenn sie nicht (dauerhaft) dafür sorgen, dass Dritte Zugang zu der Standardtechnologie zu FRAND-Bedingungen erhalten. Damit kommt es auf eine Marktbeherrschung des Patentinhabers auf dem nachgelagerten Produktmarkt nicht an. Im Falle von vertraglich vereinbarten Industriestandards kann vielmehr bereits die standardgemäß abzugebende FRAND-Selbstverpflichtungserklärung dazu führen, dass die Patentdurchsetzung unzulässig wird. Dies ist nach dem zwischenzeitlich entschiedenen EuGH Vorabentscheidungsverfahren Huawei ./. ZTE (C-170/13) jedenfalls dann der Fall, wenn der Patentinhaber nicht zunächst selbst ein angemessenes schriftliches Lizenzangebot unterbreitet.

Obgleich die EuGH Entscheidung (C-170/13) hier für mehr Klarheit gesorgt hat, müssen Detailfragen noch instanzgerichtlich geklärt (oder erneut vorgelegt) werden. Insbesondere die auch im vorliegenden Verfahren streitige Frage, ob der Patentverletzer gezwungen werden kann eine weltweite Portfoliolizenz zu nehmen, wenn dies der üblichen Lizenzierungspraxis des Patentinhabers entspricht, ist nicht vom EuGH entschieden und wird weiterhin für Streitstoff sorgen. Im vorliegenden Fall war die Beklagte bereit eine Lizenz am Klagepatent für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen, nicht aber zu der von der Klägerin verlangten weltweiten Lizenznahme an allen im DVD-Standard relevanten Patenten der Klägerin.

Die Entscheidung des LG Mannheim erscheint folgerichtig und sorgt für eine längst überfällige Ergänzung der bislang nahezu ausschließlich auf Art. 102 AEUV fokussierten Diskussion. Über den vorliegenden Fall hinaus kann die Entscheidung auch auf Fälle angewendet werden, in denen sich lediglich zwei Wettbewerber im Rahmen der gemeinsamen Schutzrechtsverwertung absprechen, sofern die Absprache wettbewerbsbeschränkenden Charakter hat. Auch hier kann die Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, unabhängig von einer ausdrücklichen FRAND-Erklärung, die Lizenzerteilung an Dritte erforderlich machen um einen Verstoß gegen das Kartellverbot auszuschließen.

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* This article is current as of the date of its publication and does not necessarily reflect the present state of the law or relevant regulation.

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