Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen erhöhen die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder

Veröffentlicht am 6th Jul 2017

Leiharbeitnehmer, die auf Stammarbeitsplätzen eingesetzt werden, zählen für die Schwellenwerte nach § 38 Abs. 1 BetrVG ebenso wie direkt angestellte Stammarbeitskräfte. Die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder kann sich dadurch erhöhen. (Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss v. 18. Januar 2017 – Az. 7 ABR 60/15).

Der Sachverhalt

Der beklagte Arbeitgeber beschäftigte zum Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats in seinem Betrieb 488 Stammarbeitnehmer sowie 22 Leiharbeitnehmer. Die Tendenz der Arbeitnehmeranzahl war steigend.

Der Betriebsrat wählte zwei Mitglieder als freigestellte Betriebsratsmitglieder. Der Arbeitgeber widersprach der Freistellung des zweiten Betriebsratsmitglieds. Er vertrat die Ansicht, der nötige Schwellenwert von 501 Arbeitnehmern nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sei nicht erreicht.

Der Betriebsrat klagte auf Feststellung, dass in der Regel mehr als 501 Arbeitnehmer in dem Betrieb beschäftigt seien und auf Freistellung des zweiten gewählten Betriebsratsmitglieds.

Entscheidend war daher, ob die 22 Leiharbeitnehmer zu den „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmern zählen. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht bejahten dies.

Die Entscheidung

Das BAG entschied ebenfalls zugunsten des klagenden Betriebsrats. Leiharbeitnehmer, die Stammarbeitsplätze im Betrieb des Entleihers besetzen, seien wie Stammarbeitnehmer zu zählen.

Bei der Bestimmung der maßgeblichen Arbeitnehmeranzahl stellte das BAG auf den Arbeitnehmerbegriff in § 5 Abs.1 BetrVG ab: Der betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmerbegriff wird in der Regel anhand der Zwei-Komponenten-Lehre bestimmt. Danach sei Arbeitnehmer im Sinne des BetrVG, wer in einem Beschäftigungsverhältnis zum Betriebsinhaber steht und in den Betrieb eingegliedert sei. Jedoch wären danach Leiharbeitnehmer weder im Entleiherbetrieb, noch im Verleiherbetrieb Arbeitnehmer. Daher werde die Zwei-Komponenten-Lehre nur der „Normalfall-Gestaltung“ gerecht und führe bei einer aufgespaltenen Arbeitgeberstellung, wie im Fall von Leiharbeitnehmern, zu nicht sachgerechten Ergebnissen.

Das BAG nahm daher eine normzweckorientierte Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs vor: Sinn und Zweck der Schwellenwerte zur Freistellung von Betriebsratsmitgliedern sei es, dem Betriebsrat die sachgerechte Erfüllung seiner Aufgaben zu ermöglichen. Zudem solle innerbetrieblichen Streitigkeiten über den konkreten Arbeitsaufwand des Betriebsrats durch die pauschalierte Freistellung vorgebeugt werden. Insoweit ergäbe sich kein anderer Zweck als in Bezug auf den Schwellenwert für die Größe des Betriebsrates (§ 9 BetrVG): Die Arbeitsbelastung für den Betriebsrat würde durch die Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen zumindest partiell ebenso erhöht wie durch Stammarbeitnehmer, wie sich aus § 14 Abs. 2 S. 2 und 3 AÜG ergebe. Danach sind Leiharbeitnehmer berechtigt, die Sprechstunde des Betriebsrats aufzusuchen sowie an Betriebsversammlungen teilzunehmen. Zudem haben sie verschiedene Beteiligungs- und Beschwerderechte aus dem BetrVG. Außerdem habe der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte (etwa nach § 87 oder bezüglich personeller Einzelmaßnahmen gem. § 99 BetrVG) in Bezug auf Leiharbeitnehmer.

Der Annahme, Leiharbeitnehmer seien „in der Regel“ im Betrieb des Entleihers beschäftigt, stehe auch nicht entgegen, dass Leiharbeitnehmer nur „vorübergehend“ dem Entleiher überlassen werden. Der Freistellungsanspruch stelle demgegenüber gerade nicht auf den einzelnen Leiharbeitnehmer ab, sondern solle nur zufälligen Ergebnissen bei schwankenden Arbeitnehmerzahlen vorbeugen, weshalb die für den Betrieb kennzeichnende Personalstärke zu berücksichtigen sei.

Schließlich sei die doppelte Zuordnung von Arbeitnehmern, sowohl zu dem Betrieb des Entleihers, als auch zu dem Betrieb des Verleihers, ebenfalls unproblematisch, da das Leiharbeitsverhältnis gerade von der Aufspaltung der Arbeitgeberposition geprägt sei.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung war zu erwarten: Das BAG setzt damit seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Leiharbeitern bei der Berechnung der Schwellenwerte des BetrVG fort. Bereits im März 2013 (BAG, 13. März 2013 – 7 ABR 69/11) hatte das BAG in Bezug auf die Ermittlung der Größe des Betriebsrates gemäß § 9 BetrVG entschieden, dass Leiharbeitnehmer als „in der Regel“ beschäftigte Arbeitnehmer zählen können. Das BAG verabschiedet sich daher nun auch in Bezug auf die Schwellenwerte bezüglich der freizustellenden Arbeitnehmer gem. § 38 BetrVG von seiner alten Rechtsprechung, nach der Leiharbeitnehmer nicht für die Schwellenwerte im BetrVG zählten.

Unternehmen, die Leiharbeitnehmer dauerhaft einsetzen, sollten die Anzahl ihrer Mitarbeiter im Hinblick auf diese Rechtsprechungsänderung überprüfen.

Gegebenenfalls können sich sowohl der Betriebsrat vergrößern als auch die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder erhöhen. Auch im Zusammenhang mit anderen Schwellenwerten, beispielsweise bezüglich der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes, kann die Anzahl der Leiharbeitnehmer Schwierigkeiten bereiten.

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