Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen

Veröffentlicht am 1st Feb 2016

Eine vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist genießt nur Vorrang vor der gesetzlichen Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 BGB, wenn sie in jedem Fall zu einem späteren Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses führt (BAG, Urteil vom 29. Januar 2015 – 2 AZR 280/14).

Der Sachverhalt

Die Klägerin war seit 1976 bei der Beklagten tätig. In ihrem Anstellungsvertrag hieß es unter anderem, dass die Kündigungsfrist beiderseits sechs Monate zum 30. Juni oder aber 31. Dezember des Jahres betrage.

Die Beklagte traf die unternehmerische Entscheidung den Betrieb zum 30. Juni 2013 zu schließen und kündigte daher das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist ordentlich zum 30. Juni 2013.

Hiergegen wandte sich die Klägerin und trug unter anderem vor, die Kündigung wahre nicht die anwendbare gesetzliche Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats aus § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB und sei unwirksam. Eine Umdeutung in eine Kündigung zum 31. Juli 2013 komme nicht in Betracht.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung erst zum 31. Juli 2013 aufgelöst worden sei. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung bestätigt.

Die Entscheidung

Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat bestätigt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 19. Dezember 2012 erst nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist – hier: sieben Monate zum Monatsende – geendet hat.

Eine einzelvertragliche Verkürzung der gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB ist – vorbehaltlich einer Vereinbarung in einem Tarifvertrag nach § 622 Abs. 4 BGB – nicht möglich. Die einzelvertragliche Verlängerung der Kündigungsfrist ist hingegen zulässig.

Für die Frage, ob eine vertraglich vereinbarte oder aber die gesetzlich geltende Kündigungsfrist Anwendung findet, kommt es darauf an, welche Regelung für den Arbeitnehmer die günstigere ist.

Das BAG stellt in seiner Entscheidung klar, dass im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs einzelvertragliche Regelungen, die eine Kündigungsfrist (hier: sechs Monate) und einen Kündigungstermin (hier: 30. Juni oder 31. Dezember) enthalten, als Einheit zu betrachten und im Rahmen eines Gesamtvergleichs zu beurteilen sind.

In diesem Zusammenhang sei es ohne Bedeutung, dass eine vertragliche Regelung in den meisten Situationen zu einer günstigeren Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer führe. Denn nach § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB müssen einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen „länger“ und nicht „meistens länger“ sein. Andernfalls würde der Zweck der längeren Kündigunsfristen, einen nahtlosen Übergang in eine Anschlussbeschäftigung zu ermöglichen, nur unvollkommen verwirklicht werden.

Da im zu beurteilenden Fall die vertragliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 30. Juni oder 31. Dezember im Vergleich zur gesetzlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten nicht durchweg, sondern lediglich in acht von zwölf Monaten eine längere Kündigungsfrist gewähre, müsse die Beklagte die gesetzliche Kündigungsfrist beachten.

Die zum 30. Juni 2013 ausgesprochene Kündigung könne jedoch letztlich in eine Kündigung zum 31. Juli 2013 umgedeutet werden, sodass die Wirksamkeit der Kündigung insgesamt durch die falsche Kündigungsfrist nicht betroffen sei.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil bringt Klarheit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzgl. der anzuwendenden Kündigungsfristen für diejenigen Fälle, in denen im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die gesetzliche Kündigungsfrist länger ist als nach einer einzelvertraglichen Regelung, die eine Kündigungsfrist und einen Kündigungstermin enthält. In diesen Fällen gilt aufgrund des abstrakten Günstigkeitsvergleichs die vertragliche Kündigungsfrist nur, wenn sie in jedem Fall zu einer für den Arbeitnehmer günstigeren, also längeren Kündigungsfrist führt.
Zu der Frage, welche Kündigungsfrist Anwendung findet, wenn die vertragliche Kündigungsfrist zwar nicht abstrakt betrachtet in jedem Fall, aber im konkreten Kündigungszeitpunkt zu einer längeren Kündigungsfrist führt, hat das BAG nicht Stellung genommen.

Solange hierzu keine Klarheit herrscht könnte man zur Vermeidung von Unsicherheiten bei der Bestimmung der anwendbaren Kündigungsfrist bei der Vertragsgestaltung erwägen, von der Vereinbarung statischer Kündigungsfristen und fixer Kündigungstermine abzusehen.

Insbesondere sollte aber bei der Formulierung von Kündigungsschreiben darauf geachtet werden, dass diese einer Umdeutung in eine Kündigung unter Wahrung der tatsächlich anwendbaren Kündigungsfrist zugänglich sein sind.

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