Anfechtung einer Betriebsratswahl ohne vorherigen Einspruch gegen die Wählerliste möglich

Veröffentlicht am 12th Mar 2018

Auch ohne einen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste kann eine fehlerhafte Wählerliste im Wahlanfechtungsverfahren gerügt werden (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 2. August 2017 – 7 ABR 42/15).

Der Sachverhalt

Die Beteiligten des Verfahrens stritten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Der Wahlvorstand veröffentlichte ein Wahlausschreiben, das für jedermann zugänglich unter anderem in den Schaukästen und im Vorraum der Verwaltung aushing und stellte es auch im Intranet ein. Im Nachgang nahm der Wahlvorstand Ergänzungen an der Wählerliste vor, indem er 17 Personen ergänzte. Die im Intranet veröffentlichte Fassung änderte er jedoch nicht.

Keiner der Arbeitnehmer legte einen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste nach Maßgabe der Regelungen der Wahlordnung zum BetrVG (WO) ein.

Die Wahl ergab, dass 228 Stimmen auf die Liste I und 220 Stimmen auf die Liste II entfielen. Innerhalb von zwei Wochen nach der Wahl haben vier wahlberechtigte Arbeitnehmerinnen des Betriebs das Ergebnis der Betriebsratswahl angefochten. Sie rügten, dass:

  • Personen in die Wählerliste mitaufgenommen wurden, die nicht wahlberechtigt seien und
  • die veröffentlichte Wählerliste im Intranet mit den ausgehängten Ausdrucken nicht übereinstimme.

Die Vorinstanzen gaben dem Wahlanfechtungsantrag statt. Sodann legte der Betriebsrat Rechtsbeschwerde beim BAG ein.

Die Entscheidung

Das BAG erachtete die Betriebsratswahl für unwirksam.

Das Gericht sah einen Verstoß gegen Vorschriften über das Wahlrecht. Die Wählerliste habe nichtwahlberechtigte Personen erfasst, da die im Intranet veröffentlichte Liste nicht mit der im Betrieb ausgehangenen übereinstimme.

Dem Wahlvorstand stehe das Recht zu, die Wählerliste in elektronischer Form zu veröffentlichen. Er sei hierzu nicht verpflichtet – mache er aber von dieser Möglichkeit Gebrauch, müsse er auch im Verlauf des Wahlverfahrens vorgenommene Änderungen der Wählerliste auf entsprechendem Wege bekannt machen. Arbeitnehmer, die sich über ihre Wahlberechtigung informieren wollen, müssten nicht mit Abweichungen zwischen den im Betrieb ausgelegten und den im Intranet veröffentlichten Wählerlisten rechnen.

Gegen den Verstoß spreche auch nicht der Umstand, dass während des Wahlverfahrens von den Antragstellerinnen kein Einspruch nach § 4 Abs. 1 WO gegen die Richtigkeit der Wählerliste erhoben wurde. Das BAG stellte klar, dass in der WO schon keine vom BetrVG abweichende Regelung getroffen werden könne, da das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hierzu nicht ermächtigt wurde. Zudem verfolge die Norm das Ziel, eine möglichst zeitnahe und abschließende Klärung von Beanstandungen der Wählerliste während des Verfahrens zu erreichen. Sie solle das Anfechtungsrecht nach § 19 BetrVG hingegen nicht einschränken.

Nach Ansicht des BAG könne ferner nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis auf den Fehler zurückzuführen sei. Da die Wählerliste nachträglich um 17 Personen ergänzt worden sei, sei nicht auszuschließen, dass mehrere Arbeitnehmer durch die Nichtaufnahme in die im Intranet veröffentlichte Wählerliste von der Wahrnehmung ihres Wahlrechts abgehalten wurden. Bei einer Differenz von nur acht Stimmen zwischen der Liste I und Liste II komme diesem Rechtsverstoß entscheidende Bedeutung zu.

Dieses Ergebnis könne der Betriebsrat auch nicht durch Recherchen zum Wahlverhalten der wahlberechtigten Arbeitnehmer und entsprechenden Vortrag im Prozess abwenden. Wegen des durch § 14 Abs. 1 BetrVG geschützten Wahlgeheimnisses erteilte das BAG solchen nachträglichen Recherchen des Betriebsrates eine klare Absage.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des BAG verdient in mehrfacher Hinsicht Zustimmung.

Die Wahlordnung kann die Rechte der wahlberechtigten Arbeitnehmer nach dem BetrVG nicht einschränken. Hierfür fehlt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, welchem grundsätzlich die Ermächtigung zum Erlass von Wahlordnungen zur Betriebsratswahl zusteht, die Regelungskompetenz. Auch die Ausführungen des BAG zu dem Sinn und Zweck von § 4 Abs. 1 WO überzeugen, da die Norm Voraussetzungen und Fristen für die Beanstandung während des laufenden Verfahrens regeln soll.

Insbesondere wegen der derzeit stattfindenden Betriebsratswahlen kommt dieser Thematik aktuelle Bedeutung zu. Auf die Einhaltung der Regelungen der WO sollte genau geachtet werden. Auch Arbeitgebern steht das Recht zu, eine Betriebsratswahl aufgrund von Verstößen gegen wesentliche Wahlvorschriften anzufechten. Wird die Wählerliste auch im Intranet veröffentlicht, so muss diese Liste mit der im Betrieb ausgehängten Liste – auch nach Änderungen – übereinstimmen. Ansonsten besteht ein hohes Risiko, dass die Wahl erfolgreich angefochten werden kann. Über den vorliegenden Fall hinaus lauern in der WO zahlreiche weitere „Fallstricke“, die zur Unwirksamkeit der Wahl führen können. Erklärt ein Gericht die Wahl für unwirksam, müssen Neuwahlen stattfinden. Dies kann durch die richtige Planung, Durchführung und – notfalls – durch die Einholung von Rechtsrat vermieden werden.

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